Der Augenblick der Liebe
Brennstoff stammt aus deinen Augen. Verführungsgerede natürlich. Anna muß man verführen. Man muß sie herumkriegen. Aber noch nie hatte sie sich selber als die prinzipiell Unbereite so theatralisch produziert wie in dieser Nacht. Sie herumzukriegen als märchenhafte Aufgabe. Man kann viel falsch machen, aber man kann noch mehr richtig machen. Jetzt auch noch das Ältersein, das er nicht Altsein nennen läßt. Anna hat sich eine abschließende Tonart angewöhnt, sie nimmt vorweg, was noch gar nicht da ist, eigentlich sieht sie aus, wie sie immer ausgesehen hat. Offenbar ist sie innerlich älter als äußerlich. Er weigert sich, Alter zu gestehen. Für sich fühlt er sich älter als alt, aber er kann sein Altsein mit niemandem teilen. Auch nicht mit Anna. Soll sie ihr Altsein haben und er seins. Weil es keine verständigungsintensivere Situation geben kann als die des Paars im Bett, wird eben dadurch auch die Verständigungs armut deutlich: Die eigene Schwere wird durch nichts so erlebbar wie durch den Versuch, in die Luft zu springen. Wie hätte er denn bei dem, was Anna im Bett erlebte oder produzierte, nicht zum Beobachter werden können! Ihr Gesicht war ein Film, der in dieser Nacht uraufgeführt wurde. Das Gesicht durchlief ein ganzes Leben. Zuerst mädchenhaft, die Lippen schälen sich nur zögernd von den Zähnen. Sie scheint dagegen zu sein, daß sie schon lächle. Aber sie will zugewendet sein. Gunstvoll. Dann doch teilnehmend. Dann mehr als teilnehmend. Selber tätig. Mehr als nur mitmachend. Einerseits hingerissen, andererseits hinreißend. Der schönste Ehrgeiz der Welt. Siegen wollend, ohne es zu wissen. Dann schon frech. Lustbewußt. Scharf auf Schamlosigkeit. Genußgierig. Und zeigend, daß sie es sei. Dann nur noch mitgenommen. Leidend. Mundoffen. Die Augen rein schwarz. Sich zu zwei Spalten verengend. Endlich eine Konzentration aller Kraftlinien auf der Nasenwurzel. So entgleist hat sie noch nie ausgesehen. Sagt sich Gottlieb. Dem Tod näher als dem Leben. Die Zunge zwischen den halboffenen Lippen wie ein erlegtes Wild. Speichel trieft. Sie ist hinüber. Und hat ihn mitgenommen. Sie schafften es, einander zu verfallen. Und so lagen sie dann. Länger. Wahrscheinlich war er vor ihr eingeschlafen.
Am nächsten Morgen eroberte sie seine Aufmerksamkeit, bevor er recht wach oder zu einer Besinnung gekommen war. Er saß auf der Terrasse, frühstückte dumpf, auf jeden Fall bewußtseinsfern, vor sich hin, da stand Anna, schon aus der Stadt zurück, unter der Tür und sagte übermütig: Du könntest heute abend meinen Mann darstellen. Und Gottlieb mühelos: Nichts lieber als das. Auf welcher Bühne? Anna schwenkte den Blumenstrauß, den sie in der Hand hatte. Rosen, aber von allen Farben, die bei Rosen überhaupt vorkommen. Lissi Reinhold, sagte Gottlieb. Bravo, sagte Anna, Sträuße nur aus einer Sorte Blumen, aber da in allen Farben, das ist immer noch Lissi Reinhold. Und was wird gespielt, fragte Gottlieb. Sie will mir wieder einmal etwas zuschanzen, sagte Anna, ein Hotel, in Konstanz. Gottlieb sagte: Toll. Anna korrigierte streng: Lieber Mann, das war in deiner Zeit, als ein Hotel noch toll war. Gottlieb sagte: Daß sie mein Schwanenhaus damals schmählich an Kaltammer verraten hat, kann sie ohnehin nicht mehr gutmachen.
In Lissi Reinholds Immernochsalon saß dann tatsächlich kein tolles, sondern eher ein kümmerliches Hotelierpaar. Kläglich und klagend. Vorgestellt: Hugo und Jacqueline. Nachname unverständlich. Hugo und Jacqueline haben sich das Hotel ein Leben lang erarbeitet, sind
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