Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
Brennstoff  stammt  aus  deinen  Augen.  Verführungsgerede  natürlich.  Anna  muß  man  verführen.  Man  muß  sie  herumkriegen.  Aber  noch  nie  hatte  sie  sich  selber als die prinzipiell Unbereite so theatralisch produziert  wie  in  dieser  Nacht.  Sie  herumzukriegen  als  märchenhafte  Aufgabe. Man kann viel falsch machen, aber man kann noch  mehr  richtig  machen.  Jetzt  auch  noch  das  Ältersein,  das  er  nicht Altsein nennen läßt. Anna hat sich eine abschließende  Tonart angewöhnt, sie nimmt vorweg, was noch gar nicht da  ist,  eigentlich  sieht  sie  aus,  wie  sie  immer  ausgesehen  hat.  Offenbar ist sie innerlich älter als äußerlich. Er weigert sich,  Alter zu gestehen. Für sich fühlt er sich älter als alt, aber er  kann  sein  Altsein  mit  niemandem  teilen.  Auch  nicht  mit  Anna.  Soll  sie  ihr  Altsein  haben  und  er  seins.  Weil  es  keine  verständigungsintensivere  Situation  geben  kann  als  die  des  Paars im Bett, wird eben dadurch auch die Verständigungs armut  deutlich:  Die  eigene  Schwere  wird  durch  nichts  so  erlebbar wie durch den Versuch, in die Luft zu springen. Wie  hätte  er  denn  bei  dem,  was  Anna  im  Bett  erlebte  oder  produzierte,  nicht  zum  Beobachter  werden  können!  Ihr  Gesicht  war  ein  Film,  der  in  dieser  Nacht  uraufgeführt  wurde.  Das  Gesicht  durchlief  ein  ganzes  Leben.  Zuerst  mädchenhaft, die Lippen schälen sich  nur zögernd von den  Zähnen.  Sie  scheint  dagegen  zu  sein,  daß  sie  schon  lächle.  Aber  sie  will  zugewendet  sein.  Gunstvoll.  Dann  doch  teilnehmend. Dann mehr als teilnehmend. Selber tätig. Mehr  als  nur  mitmachend.  Einerseits  hingerissen,  andererseits  hinreißend.  Der  schönste  Ehrgeiz  der  Welt.  Siegen  wollend,  ohne es zu wissen. Dann schon frech. Lustbewußt. Scharf auf  Schamlosigkeit.  Genußgierig.  Und  zeigend,  daß  sie  es  sei.  Dann  nur  noch  mitgenommen.  Leidend.  Mundoffen.  Die  Augen  rein  schwarz.  Sich  zu  zwei  Spalten  verengend.  Endlich  eine  Konzentration  aller  Kraftlinien  auf  der  Nasenwurzel. So entgleist hat sie noch nie ausgesehen. Sagt  sich  Gottlieb.  Dem  Tod  näher  als  dem  Leben.  Die  Zunge  zwischen  den  halboffenen  Lippen  wie  ein  erlegtes  Wild.  Speichel  trieft.  Sie  ist  hinüber.  Und  hat  ihn  mitgenommen.  Sie  schafften  es,  einander  zu  verfallen.  Und  so  lagen  sie  dann. Länger. Wahrscheinlich war er vor ihr eingeschlafen. 
Am  nächsten  Morgen  eroberte  sie  seine  Aufmerksamkeit,  bevor  er  recht  wach  oder  zu  einer  Besinnung  gekommen  war.  Er  saß  auf  der  Terrasse,  frühstückte  dumpf,  auf  jeden  Fall bewußtseinsfern, vor sich hin, da stand Anna, schon aus  der  Stadt  zurück,  unter  der  Tür  und  sagte  übermütig:  Du  könntest heute abend meinen Mann darstellen. Und Gottlieb  mühelos:  Nichts  lieber  als  das.  Auf  welcher  Bühne?  Anna  schwenkte  den  Blumenstrauß,  den  sie  in  der  Hand  hatte.  Rosen,  aber  von  allen  Farben,  die  bei  Rosen  überhaupt  vorkommen.  Lissi  Reinhold,  sagte  Gottlieb.  Bravo,  sagte  Anna,  Sträuße  nur  aus  einer  Sorte  Blumen,  aber  da  in  allen  Farben,  das  ist  immer  noch  Lissi  Reinhold.  Und  was  wird  gespielt,  fragte  Gottlieb.  Sie  will  mir  wieder  einmal  etwas  zuschanzen,  sagte  Anna,  ein  Hotel,  in  Konstanz.  Gottlieb  sagte: Toll. Anna korrigierte streng: Lieber Mann, das war in  deiner  Zeit,  als  ein  Hotel  noch  toll  war.  Gottlieb  sagte:  Daß  sie  mein  Schwanenhaus  damals  schmählich  an  Kaltammer  verraten hat, kann sie ohnehin nicht mehr gutmachen. 
In  Lissi  Reinholds  Immernochsalon  saß  dann  tatsächlich  kein  tolles,  sondern  eher  ein  kümmerliches  Hotelierpaar.  Kläglich  und  klagend.  Vorgestellt:  Hugo  und  Jacqueline.  Nachname unverständlich. Hugo und Jacqueline haben sich  das  Hotel  ein  Leben  lang  erarbeitet,  sind 

Weitere Kostenlose Bücher