Der Augenblick der Liebe
Heiligen ruft man an, daß er Anna hindere, herüberzulangen! Er durfte mit Anna nichts zu tun haben. Er hatte das Gefühl, ihm werde ein Streich gespielt. Von seinem geträumten Unding. Und Beate hatte in der ersten Stunde auf der Terrasse Anna gefragt: Wie ist das, mit diesem Mann verheiratet zu sein. Und Anna, künstlich munter: Es geht.
Drüben hatte er, als sie beide den armseligen Wortschatz schmähten, der ihnen vererbt worden war, gefragt, ob sie¹s joggen nennen sollten. Dadurch waren sie immerhin auf ficken gekommen. Eines wußte er jetzt von Tag zu Tag sicherer: Er würde sich in dem, was er selber als seine Unzurechnungsfähigkeit zu begreifen begann, nicht irri tieren lassen. Wenn er alles falsch sah, dann war es sein gutes Recht, alles falsch zu sehen; wenn er verloren war, dann wollte er verloren sein. Dürfen. Es wird keine abschwä chende Überlegung mehr zugelassen. Er machte sich nichts vor. Er fühlte, er war lebenswütig, aufbruchstoll. Er mußte Anna ein weiteres Mal entwirklichen. Read my mind, dear Anna. Sagen konnte er nichts von dem, was jetzt in ihm tobte und schwoll. Anna hatte ihm beigebracht, daß er nackt keine Rolle mehr spielte, außer bei ihr. Aber Themire hatte ihn am Telephon Du genannt und hatte das Du sofort zweisilbig gemacht. Und hatte das in den drei Zimmern, in denen sie waren, beibehalten, obwohl sie sah, wie er aussah. In der dritten Nacht hatte sie die gemeinsame Zukunft entworfen. Wir können nicht warten, dazu bist du nicht jung genug. Wenn du jünger wärst, könnten wir Zeit vertun.
Daß er jetzt nicht dort war, tat weher als alles, was der Körper leiden kann. Aber es ist ein Schmerz, dem man, im Gegensatz zum Körperschmerz, nicht so schnell wie möglich entfliehen will. Man will ihn hegen, wachsen lassen, daß man durch ihn zu Handlungen fähig werde, zu Handlungen sich berechtigt fühle, die man ohne diesen Schmerz sich nicht zutrauen dürfte. Er würde anrufen, sagen, daß sein Davon rennen sich verheerend ausgewirkt habe, er müsse zurück. Sich nichts mehr befehlen, das war¹s. Endlich Schluß mit dieser Hinkrümmung an das Verlangbare. Du kannst nicht erwarten, daß irgend jemand der Stimmung entspricht, in der du leben mußt. Wenn du aufwachst, und es tut dir überhaupt nichts weh, wie sollst du dich dann damit abfinden, daß du nicht dreißig, nicht vierzig, nicht fünfzig, sondern mehr, mehr, mehr als sechzig bist! Da muß man sich doch falsch benehmen. Das heißt, du wirst mit siebzig so ungern sterben, als wärst du dreißig. Morgen weg. So ausgefüllt zu sein, unanfechtbar. Er war doch nicht Herr PöhlmannGschrey. Auf der Beuerlinshalde. Mit Seeblick, Weitblick, Alpenblick, hinauf ins Gipfelgewell. In die letzte Ecke des tannenreichen Grundstücks hatte Herr Pöhlmann Gschrey Gottlieb gezogen und fiebrig dahingeredet, er müsse weg, die Frau wisse noch nichts, auf ihn warte, weit weg, das Neue Leben. Die Frau glaube, man ziehe gemein sam auf die Kanaren. Er hat dieses Haus gebaut für seine Frau. Er hat berechnet, um wieviel Uhr die Sonne die Nasen spitze der Frau trifft und sie weckt. Das ganze Jahr ist die Sonne im Dienst dieses Hauses, also der Frau. Dachwinkel, Firsthöhe, Tannen, die Sonne, alles dient der Frau des Hauses. Die zum Sofa gewordene Klosterbadewanne, der gewaltige, unter der Decke schwebende Engel mit blutrot geblähtem Mantelfallschirm, Krippen, Dome, aus Streich hölzern gebaut, Schachtelhalme, Moschusochsen, Saurier skelette, der Palmenwald im Glashaus,
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