Der Augenblick der Liebe
reagierte er gewöhnlich, eingeübt, mit der abstrakten Anstrengung, noch einmal, noch ein einziges Mal aufzustehen, ohne Grund. Dafür, sitzen zu bleiben und zu starren, gab es eine Wucht von Gründen, die in eine einzige Schwere münden. Die Schwere will den Ausschlag geben. Es tut weh, ihr Gebot zurückzuweisen. Heute keine abstrakte, grundlose Aufstehbewegung. Heute blieb er sitzen. Er hatte nicht umgetauscht. Die Dollars waren gerettet. Vor ihm das Tele phon. Er konnte in jeder Sekunde Chapel Hill anrufen. Vierzehn Tage Wartefrist. Sich so etwas zu befehlen! Er sollte sich lieber befehlen, sofort aufzustehen, in die Stadt zu rennen, und mitten in der Stadt sollte er zum Erstaunen der Leute anfangen zu reden. Laut. Überlaut. Je lauter er redete, desto glaubhafter würde er sein. Schreien mußte er, dann war er glaubhaft. Glaubwürdig. Aber bitte, das Wichtigste, Dr. Matusaka: Einen Ton tiefer! Vielleicht würden ihn in den ersten Sekunden ein paar für übergeschnappt halten. Stehen bleiben würden ein paar. Die Leute bleiben ja überall stehen, wo etwas ihren Alltag ritzt. Leute, würde er rufen, glaubt keinem, der aus Erfahrung über das Altwerden und über das Altsein spricht. Er lügt. Keiner kann über das Altwerden und über das Altsein die Wahrheit sagen. Jeder würde sich genieren, etwas so Ekelhaftes, Erbärmliches in den Mund zu nehmen. Glaubt keinem! Auch ihm nicht! Und würde an seine Kopfwarze am Haaransatz greifen, und die würde bluten, und er würde den Leuten seine blutigen Finger hinhalten. Dann würde er sich umdrehen und unaufhaltbar gehen. Und würde an Gottes Kapitän mit der schief sitzen den Mütze denken, der bis zum nächsten Mittwoch 780 000 Dollar gebraucht und gekriegt hatte. In Gottes eigenem Land. Dahin wollte er. Und Paul Schatz wartet, erwartet, daß die vierte Frau stirbt, steht auf, fällt um, ist tot. Na ja. Da mußte man doch an den Allerweltsspruch des begnadeten Maklers denken, mit dem er jedem Interessenten den Hauskauf förmlich befohlen hatte: Man lebt bloß einmal. Echt Schatz, stirbt nicht im Bett, will nicht, darf nicht im Bett gestorben sein, steht noch ganz schnell auf, daß er dann tot umfallen kann. Am liebsten hätte sich Gottlieb über die Todesnachricht gefreut. Aber das darf man ja nicht. Du bist durch und durch zahm. Gesteh dir doch endlich, daß dich Schlimmes freut. Negatives. Nur noch Negatives, Belei digendes, Herabsetzendes, Bösartiges, Vernichtendes. Dein Kreislauf, die Säfte, sobald du dich etwas Wüstem hingibst, löst sich in dir etwas Verkrampftes, Hartes. Endlich begriff er, warum Bösartiges so beliebt ist: Sobald er auf etwas Lobendes, gar Preisendes stieß, konnte er nicht weiterlesen, sein Magen drehte sich um, wenn er las, daß jemand noch et was gut fand. Und konnte das lobende Zeug doch nicht einfach weit von sich werfen. Er mußte weiterlesen, obwohl es ihm von Satz zu Satz schlechter ging, aber aufhören konnte er erst, wenn er sich dem Ersticken nahe fühlte, dann erst konnte er die Lobhudelei fallen lassen, zum Fenster rennen, das Fenster aufreißen, eine ungemessene Zeit lang am offenen Fenster stehen, fähig nur noch zu einem einzigen Gedanken: Ich bin froh, in einer Zeit zu leben, in der es noch Fenster gibt, die man öffnen kann. Da er aber so positiv nicht enden konnte, mußte er weiterdenken: Bald wird es nur noch Fenster geben, die man nicht mehr öffnen kann. Und warum freute ihn das nicht, daß alles immer schlimmer wird? Er müßte sich doch wohlfühlen, wenn alles immer schlimmer würde. Fühlte er sich wohl? Jetzt verhör dich doch nicht so,
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