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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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mehr,  dir  genügt  die  Zehntelsekunde  zum  Luftschnappen,  Annas Kopf muß droben bleiben, die Wellen brechen sich an  ihrem Kopf, die Blitze sind doch belebend, der Donner auch,  alles  hilft,  deine  Beinarbeit  zu  verdoppeln,  nichts  als  ver doppeln,  und  Annas  Kopf  hinaufstemmen  und  nach  Luft  schnappen und die Beinarbeit verdoppeln. Dann tasten, gibt  es  schon  Grund,  die  Tannen  schwanken,  stürmische  Begrü ßung,  Gottlieb,  das  sind  die  immer  ins  Wasser  reichenden  Bodanrücktannen,  du  hast  Grund  unter  den  Füßen.  Jetzt  schleif  sie,  schlepp  sie  hinauf  und  leg  sie  dem  Wald  zu  Füßen.  Als  hätte  sie  darauf  gewartet,  öffnet  sie  die  Augen.  Aber gleich fallen sie ihr wieder zu. Es war ein Blick, den du  nicht  verstehst.  Ein  Blick,  der  nicht  dir  galt.  Ein  mit  nichts  rechnender Blick. Und hustet. Endlich hustet sie. Hustet und  spuckt.  Spuckt  Wasser.  Und  er  keucht.  Hechelt.  Wie  ein  Hund.  Ganz  kurz  und  ganz  schnell.  Er  ringt  nach  Luft.  Er  kriegt noch lange nicht soviel Luft, wie er brauchte. Und sie  spuckt Wasser. Und er wird ewig nach Luft ringen. Nie mehr  wird er soviel Luft kriegen, wie er brauchte. 
Anna hob ihr Gläschen, wartete, bis er seins auch hob. Na  dann,  zum  Wohl,  sagte  sie  und  er  sagte,  ein  bißchen  verspätet, zum Wohl. Weißt du was, sagte sie. Wie sollte ich,  sagte  er.  NIOBE   wartet,  sagte  sie.  Er  konnte  nur  schauen.  NIOBE ,  sagte  sie  noch  einmal.  Wir  waren  seit  zwölf  Tagen  nicht  auf  dem  Wasser.  Stimmt,  sagte  er.  Also,  sagte  sie.  Er  tat,  als  schaue  er  nach  dem  Wetter,  schüttelte  den  Kopf.  Vorwarnung, sagte er. In einer halben Stunde kocht der See.  Schade, sagte sie, ihr sei heute so nach Segeln. Und streckte  und  dehnte  sich.  Gottlieb  sagte:  Mir  auch.  Aber,  sagte  er,  fügen  wir  uns.  Abgesehen  davon,  übermorgen  sei  die  zweimal  verlängerte  Frist  für  die  Steuererklärung  abge laufen, und er sei noch mitten drin. Und stand auf und ging  zu Anna hin und zog sie hoch und legte seine Arme um sie  und  sagte:  Er  habe  sie  noch  nie  so  geliebt  wie  in  diesem  Augenblick.  In  diesem  Augenblick,  sagte  sie,  wieso  denn  das. Es ist der Augenblick der Liebe, sagte er. Verstehst du?  Nein, sagte sie. Gut, sagte er, küßte sie überall hin, nur nicht  auf  den  Mund,  und  ging  hinein,  an  seinen  Schreibtisch,  auf  dem  die  Papiere  für  die  Steuererklärung,  übersichtlich  geordnet, auf ihn warteten. 
Aber  bevor  er  anfangen  konnte,  fiel  ihm  noch  die  Haager  Landkriegsordnung  ein.  Die  Staaten  haben  sich  auf  Bedingungen  geeinigt,  unter  denen  es  gestattet  ist  zu  töten.  Die  Staaten  lassen  ihre  Leute  also  nicht  unter  allen  Umständen  töten,  sondern  nur  unter  genau  beschriebenen  Bedingungen.  Wer  sich  nicht  daran  hält,  wird  nachher  als  Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt. Die einzige Einschrän kung,  die  man  machen  muß:  Es  werden  fast  immer  nur  Besiegte vor dieses Gericht gestellt. Für den Kampf zwischen  zwei  Menschen,  etwa  einem  Mann  und  einer  Frau,  gibt  es  keine  Bedingungen,  die  eingehalten  werden  müssen,  keine  Grenze  der  Grausamkeit  oder  Gemeinheit.  Es  ist  alles  erlaubt. Man muß es nur aushalten. Und sich, wenn es schief  geht, nachher dafür bestrafen lassen. Gottlieb spürte, wie alle  Notwendigkeit  zerfiel.  Schon  zerfallen  war.  Er  konnte  froh  sein,  daß  jetzt  die  Steuererklärung  gemacht  werden  mußte.  Anna  bewunderte  ihn  für  nichts  so  sehr  wie  für  seine  Fähigkeit,  die  immer  schwieriger  werdenden  Steuererklä rungen zustande zu bringen. Auch jetzt stand sie in der Tür  und  sagte:  Ich  bewundere  dich.  Er  tat,  als  dürfe  er  nicht  gestört  werden.  Und  fing  an.  Wollte  anfangen,  aber  es 

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