Der Augenblick der Liebe
durch Einfälle ersetzen. Er hat sie einen Augenblick lang, mehrere Augenblicke lang ein bißchen angebetet. Aber dann war er wieder gefaßt gewesen. Dann wieder nicht. Aber dann doch wieder. Vor lauter Unterrichtenmüssen wird sie zu keinem eigenen Gedanken kommen. Gedankenflucht. Ihre Lieblingsbeschäftigung. Sich treiben lassen! Ferien! Fünfzehn Studenten sollten in fünf Ferienwochen das Pensum eines ganzen Semesters schaffen. Deutsch als Philo sophensprache. Daß sie dann in Professor Glen O. Rosennes NietzscheKurs mitkämen. Sie hatte jedem Studenten so helfen wollen, wie ihr dort auf der Terrasse geholfen worden war. Angeblich zweieinhalb Stunden lang. Zusammenge schnurrt auf einen Augenblick. Das Terrassenwunder. So wollte sie von jetzt an auf ihre Studenten wirken. Hegel geht ohne Aufhebung nicht, und aufheben ist süddeutsch, da heißt es, etwas bewahren, wozu ist sie bei Hegel daheim geboren, aber es heißt auch, etwas nicht liegen lassen, wo es bis jetzt lag, also sublate kann nur ein abstrakter Hauch sein von dem, was Hegel aufhebt, wenn er von Aufhebung spricht. Und wer nicht weiß, daß reification eigentlich Verdinglichung heißt, ist arm dran. Oder Nietzsches Gebrauch von Bosheit, Mitleiden, Weib, Aufklärung, Vornehmheit, Tugend und Höhe und Tiefe. Ferien! Als sie kurz vor Semesterende eher frivol durchs Ph. D. Qualifying Exam gestolpert war, hatte Professor Glen O. Rosenne die Dissertation angemahnt: Ende Septem ber die Gliederung, im Januar die Rohfassung der ersten drei Kapitel. Sie hatte, ohne triftigen Anlaß, hingeplaudert, die Arbeit werde acht Kapitel enthalten. Das hatte seinen Appetit gereizt. Und Rick Hardy, von allen Rosenne Assistenten der dünnlippigste, hatte gegrinst und gesagt, er kenne Beate − wie die Beate herausquälten, weil sie vermeiden mußten, daß es nach beauty klang −, Beate werde im Januar nicht drei, sondern sechs Kapitel liefern. Vielleicht suchte Rosenne Assistenten, die so wenig Lippen hatten wie er selbst. Er wurde als lizard gehandelt. Rick Hardy war nach der Prüfung mit ihr essen gegangen und hatte ihr seine Dissertation überreicht. Gedruckt. Revolt as Part of Socia lization. Mit Widmung. You are of my kin. Ein anmaßendes, besitzergreifendes Kompliment. Und ever yours. Bei dem Händedruck, mit dem er ihr gratuliert hatte, hatte sie leise aufgeschrieen. Obwohl man wußte, daß er immer seine ganze Kraft in den Händedruck legte, war man dann doch jedes Mal wieder unvorbereitet. Herr ZürnKrall hatte ihre Hand auch ein bißchen fester gedrückt, als zu erwarten war, aber sein fester war ein Seligkeitsblitz, verglichen mit der Quetschung, die einem Rick Hardy antat. Daß Ricks Frau ihn wieder betrogen hatte, erwähnte er nebenbei, wie er das jedesmal erwähnte, wenn man mit ihm allein war. Er habe Elaine jetzt hinausgeworfen, sagte er diesmal so dazu, als habe er damit zum letzten Mal von dieser Frau gesprochen. Revolte als Unterwerfung, das wäre ihr Titel, wenn sie eine Dissertation über Rick Hardy zu schreiben hätte. Der Rebell als Anwanze. Aber bei diesem Mittagessen hatte er ihr leid getan. Sie hatte ihm einen Augenblick eine Hand auf sein haariges Handgelenk gelegt. Auf dem Kopf nichts, aber sonst quollen bei dem die Haare aus allen Öffnungen. Sie mußte ihn besser behandeln. Nahm sie sich vor. Sie hatte ihn immer Verachtung spüren lassen wollen, weil er so erfolgreich war und weil sie glaubte, er befördere seinen Erfolg durch jene als Revolte verkaufte Unterwerfung. So was kam an. Sie
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