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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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hat  eine  Zeit  gegeben,  und  die  hat  sie  überlebt,  da  kam  nur alle drei Wochen ein Brief von ihm. Und überhaupt kein  Anruf. Steinzeit. Nein, Eiszeit. Und jetzt. Hier heißt es It¹s not  over till the fat lady sings (Opernspruch). Sein Hegel nennt¹s  Begierde,  Freud  versteckt  sich  hinter  Libido,  Lacan veredelt  es  als  Begehren,  sie  sagt  Sehnsucht,  mehr −  sucht  als  Sehn.  Jetzt  wird  sie  ihm  in  jedem  Brief  mindestens  drei  Polaroids  schicken, in gerade noch gebremster Obszönität. Aber wenn  man  diese roids  vergrößerte  auf  2  x  3  Meter,  dann  wären  das Rembrandts. To be sure. Und er hat gesagt, er trage die  Polaroids  jetzt  immer  bei  sich.  Auf  seinem  Körper,  hat  er  gesagt. Und das nicht aus Sicherheitsgründen! Und: Er fühle  sich so gesund wie noch nie! 
Am Telephon, seine Stimme! Sie möchte am ganzen Körper  Ohren haben! 
Die Naturgeschichte der Seele.  Und löst sich auf in ihm. Ver gißt,  daß  er  von  der  ehrenwerten  Gesellschaft  umgeben,  um ringt,  bewacht  ist.  Er  muß  seiner  Themire  schwören,   nie  mehr anzurufen, wenn er gezwungen sein kann, einfach auf zulegen. 
Gestern sein schönster Brief, so far. Zum ersten Mal ist sie  «Liebste», zum ersten Mal gibt er sich ausführlich mit ihren  Küssen  ab.  Es  hilft  tatsächlich,  das  Wort  Sehnsucht  auszu sprechen.  Hilft  ist  falsch.  Es  heizt.  Reizt.  Die  Sehnsucht  erwacht  eben,  wenn  man  sie  nennt.  Die  Jahre,  die  er  zwischen  ihr  und  ihm  aufbaut  wie  ein  unpassierbares  Ge birge, putzt sie weg wie nichts. Dazu paßt, daß er dann auch  in  jedem  zweiten  Brief  vorschlägt,  nur  in  chinesischen  Restaurants zu essen, weil es in denen so schummrig ist. Sie  wird  ihn  in  die  Helle  führen.  Tag  und  Nacht.  Unter  eine  Operationslampe  wird  sie  ihn  legen  zum  Küssen  und  so  weiter. Sie ist nämlich S & M. Das sagt man hier für pervers.  Er weiß eben nicht, daß sie als Kind gefährdet war, weil sie  alles in den Mund genommen hat. Nach dem Regen hat sie  aus  Pfützen  getrunken.  Ihre  Mutter,  Weltmeisterin  in  Reinlichkeit und Peinlichkeit, verzweifelte schier. Es gab jetzt  Träume, die sie Dr. Douglas nicht hinplaudern konnte. Ihm  auch  nicht.  Nein,  ihm  auch  nicht.  Noch  nicht.  Vielleicht  im  März.  Ins  Ohr.  Sie  saß  an  einem  Kindertisch  und  hatte  den  Mund  voller  Kot.  Um  sie  herum  mehrere  Gleichaltrige,  die,  obwohl  sie  den  Kot  verbergen  wollte,  merkten,  was  sie  im  Mund  hatte.  Sie  versuchte,  den  Kot  hinter  vorgehaltener  Hand  auszuspucken.  Er  fiel  unter  den  Tisch  und  war  jetzt  erst  recht  sichtbar.  Dann  spuckte  sie  den  Rest  noch  in  eine  Serviette,  mit  der  sie  dann  auch  noch  den  Boden  säuberte.  Dann sagte Patricia Best, sagte es aber wie zum Spaß, daß sie  mit  ihr  intim  werden  wolle.  Das  sei  ihr  Traum,  von  einer  jungen  Frau  zum  Auto  gebracht  zu  werden.  Sie  aber  rief  nach  Glen  O.  Rosenne.  Aber  der  kam  nicht.  Patricia  bot  ihr  den kurzen Arm und sagte: Komm, Kind. Und zeigte auf den  Kot, der wieder unter dem Tisch lag, sichtbarer als je zuvor.  Aus der Traum. 
Im  Fußballstadion  läuft  gerade  die  Nationalhymne.  Sie  hört¹s  durchs  offene  Fenster.  Sie  erträgt  kein  geschlossenes  Fenster  mehr.  Weder  bei  Tag  noch  bei  Nacht.  Sie  war  jetzt  stundenlang mit ihren Finger und Zehennägeln beschäftigt.  Wie eine Künstlerin. Vielleicht. Davor, in der Wanne liegend,  hat  sie  Beine  und  Achselhöhlen  ab  und  ausgeschabt.  Da  fühlt sie sich amerikanisiert. Aber, bitte, keine falschen Vor stellungen:  Rot  auf  Nägeln  kann  sie  jetzt  nicht  mehr  aus stehen.  Nur  noch  Naturtöne.  Vielleicht  La  Mettries  Einfluß.  Natur ist alles. Alles ist nichts als Natur. 
Sie  wird  das  Grüngeblümte  anziehen,  weil  er  sich  das 

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