Der Augenblick der Liebe
hat eine Zeit gegeben, und die hat sie überlebt, da kam nur alle drei Wochen ein Brief von ihm. Und überhaupt kein Anruf. Steinzeit. Nein, Eiszeit. Und jetzt. Hier heißt es It¹s not over till the fat lady sings (Opernspruch). Sein Hegel nennt¹s Begierde, Freud versteckt sich hinter Libido, Lacan veredelt es als Begehren, sie sagt Sehnsucht, mehr − sucht als Sehn. Jetzt wird sie ihm in jedem Brief mindestens drei Polaroids schicken, in gerade noch gebremster Obszönität. Aber wenn man diese roids vergrößerte auf 2 x 3 Meter, dann wären das Rembrandts. To be sure. Und er hat gesagt, er trage die Polaroids jetzt immer bei sich. Auf seinem Körper, hat er gesagt. Und das nicht aus Sicherheitsgründen! Und: Er fühle sich so gesund wie noch nie!
Am Telephon, seine Stimme! Sie möchte am ganzen Körper Ohren haben!
Die Naturgeschichte der Seele. Und löst sich auf in ihm. Ver gißt, daß er von der ehrenwerten Gesellschaft umgeben, um ringt, bewacht ist. Er muß seiner Themire schwören, nie mehr anzurufen, wenn er gezwungen sein kann, einfach auf zulegen.
Gestern sein schönster Brief, so far. Zum ersten Mal ist sie «Liebste», zum ersten Mal gibt er sich ausführlich mit ihren Küssen ab. Es hilft tatsächlich, das Wort Sehnsucht auszu sprechen. Hilft ist falsch. Es heizt. Reizt. Die Sehnsucht erwacht eben, wenn man sie nennt. Die Jahre, die er zwischen ihr und ihm aufbaut wie ein unpassierbares Ge birge, putzt sie weg wie nichts. Dazu paßt, daß er dann auch in jedem zweiten Brief vorschlägt, nur in chinesischen Restaurants zu essen, weil es in denen so schummrig ist. Sie wird ihn in die Helle führen. Tag und Nacht. Unter eine Operationslampe wird sie ihn legen zum Küssen und so weiter. Sie ist nämlich S & M. Das sagt man hier für pervers. Er weiß eben nicht, daß sie als Kind gefährdet war, weil sie alles in den Mund genommen hat. Nach dem Regen hat sie aus Pfützen getrunken. Ihre Mutter, Weltmeisterin in Reinlichkeit und Peinlichkeit, verzweifelte schier. Es gab jetzt Träume, die sie Dr. Douglas nicht hinplaudern konnte. Ihm auch nicht. Nein, ihm auch nicht. Noch nicht. Vielleicht im März. Ins Ohr. Sie saß an einem Kindertisch und hatte den Mund voller Kot. Um sie herum mehrere Gleichaltrige, die, obwohl sie den Kot verbergen wollte, merkten, was sie im Mund hatte. Sie versuchte, den Kot hinter vorgehaltener Hand auszuspucken. Er fiel unter den Tisch und war jetzt erst recht sichtbar. Dann spuckte sie den Rest noch in eine Serviette, mit der sie dann auch noch den Boden säuberte. Dann sagte Patricia Best, sagte es aber wie zum Spaß, daß sie mit ihr intim werden wolle. Das sei ihr Traum, von einer jungen Frau zum Auto gebracht zu werden. Sie aber rief nach Glen O. Rosenne. Aber der kam nicht. Patricia bot ihr den kurzen Arm und sagte: Komm, Kind. Und zeigte auf den Kot, der wieder unter dem Tisch lag, sichtbarer als je zuvor. Aus der Traum.
Im Fußballstadion läuft gerade die Nationalhymne. Sie hört¹s durchs offene Fenster. Sie erträgt kein geschlossenes Fenster mehr. Weder bei Tag noch bei Nacht. Sie war jetzt stundenlang mit ihren Finger und Zehennägeln beschäftigt. Wie eine Künstlerin. Vielleicht. Davor, in der Wanne liegend, hat sie Beine und Achselhöhlen ab und ausgeschabt. Da fühlt sie sich amerikanisiert. Aber, bitte, keine falschen Vor stellungen: Rot auf Nägeln kann sie jetzt nicht mehr aus stehen. Nur noch Naturtöne. Vielleicht La Mettries Einfluß. Natur ist alles. Alles ist nichts als Natur.
Sie wird das Grüngeblümte anziehen, weil er sich das
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