Der Augenblick der Liebe
tiefvioletter Vogel beim blauen Hansel. Dieser Kleine biß dem Hansel das Bein ab. Sie schrie nach ihrem Vater. Der nahm das nicht weiter wichtig. Sie stand, konnte nicht wegschauen von Hansel, der versuchte, auf dem dünnen Bein die Balance zu halten. Als sie aufwachte, rannte sie gleich zum Käfig. Die waren ja wieder zu Gast. Und beide gesund, der Blaue und die Gelbgrüne.
Im letzten Brief hatte er beschrieben, wie er unter ihrem blauen Laken erwachte und sie darauf aufmerksam machte, daß er tot sei. Das hat sie schaudernd genossen. Heute fernmündlich seine Bemerkung, daß die horrenden Tele phonrechnungen erst nach seinem Tod ins Haus kämen, hat sie aber doch erschreckt. Sie weiß schon, es war, es sollte ein Witz sein. Warum sagte er so etwas? Sagte es einfach so hin.
Jesus, sie − er und sie − haben doch nicht einmal eine normale Affaire. Madelon wird zweimal pro Monat vom farbigen Fahrer Louis, einem hübschen Fahrer sogar, ab geholt und zu Brian Dewey, dem genialen Erfinder der feinsten Wasserreinigungsmaschinen der Welt, nach Wil mington oder Charleston chauffiert, um dann verwöhnt zu werden und so weiter, und dann wieder zurückchauffiert vom dunkelschönen Louis und so weiter. Soll doch ihr Wendelin Gottlieb ... Jetzt hat sie¹s, sie wird ihn jetzt, ganz ernüchtert, mit dem hier üblichen VornamenZweierpack nennen, á la John F.! Soll doch ihr Wendelin G. einmal pro Woche vor Anna hintreten, zum Kegeln müssen, jeden Donnerstag, zum Beispiel, immer in Turnschuhen, soll seine Anna doch zugeben, es tue ihm gut, auch wenn er danach ziemlich erschöpft sei, bis eben die Kegelbahn eines Tages schließt oder er einfach nicht mehr kegeln, sondern die Donnerstagabende wieder daheim verbringen will. Ihre blütenweiße Spitzenunterwäsche aber liegt sorgfältig im Schrank und wartet auf einen März, der, je heftiger sie ihn ersehnt, um so weniger vorstellbar wird. Heiliger Julien, wo bleibt l¹imagination! Aber der Pullover ist fertig. Inklusive Ärmel. Ob er ihr gefällt, könnte von Gottlieb W. (so herum ist es besser) abhängen. Lila. Erikafarbener SchalKragen. Der, wie grobe Spitze. Das Lila durchlocht. Das ganze seidig. What now, my love?
Könnte sein, daß sie in seiner Art Zärtlichkeit unerfahren ist. Dachte sie heute, nach seinem zweiten Anruf. Als sie auf den dritten, der nicht kam, gewartet hat. Zum Glück gibt es die Hits.
You make me feel like a natural woman.
Das mußte sie summen und singen gegen die entnervende Angst, alles könne nur ein Sprachspiel sein und bleiben, fernmündlich wie schriftlich, folgenlos. Schnell wieder mit Madelon ins Kino.
Falling in Love. Mit Meryl Streep. Auch eine VassarFrau. Sie hatte den selben Schauspiellehrer wie Meryl Streep. War aber unentdeckt geblieben. Madelon und sie nach dem Film, stumm. Dieses Sichfinden, Sichtrennen, Sichwiederfinden und Wiedertrennen bis zum Gehtnichtmehr beziehungs weise Dochnochhappyend. Eine freche Spekulation mit der menschlichen Bedürftigkeit. Und das Beleidigendste: die Ge nauigkeit, mit der sie da berechnet werden. Aber daß sie dem StreepDeNiroGetrapse lechzlechz hinterhertrapsen, gibt Hollywood recht. Die ähnlich operierenden Religionen versprechen ihren Opfern wenigstens eine Belohnung im Jenseits. Hollywood kassiert unser Geld und unsere Seelen und liefert dafür neunzig Minuten.
Weil sie von ihrer Mutter geweckt wurde, fernmündlich, fing sie sofort an, mit ihr zu streiten, weil sie nur noch von ihm geweckt werden will. Die Schmutziggelbe ist fertig. Die schönste, die sie je gestrickt hat. Und das in neun Tagen. Und es
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