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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Es gibt keine  andere  Philosophie  als  die  Philosophie  Spinozas.  Und  später  Albert  Einstein,  von  einem  Rabbiner  gefragt,  ob  er  an  Gott  glaube:  Ich glaube an den Gott Spinozas ...  Auch wenn er dann  den allzu menschenähnlichen Gott verwirft und aus Spinoza  einen  Gott  der  Superstruktur  bezieht,  auf  La  Mettrie  wird  sich keiner berufen, wenn er nach Gott gefragt wird. Er ist als  Arzt so erfahrungshörig wie als Philosoph. Daß er nicht von  sich  absehen  kann,  befreit  ihn  aus  den  Zwängen  zum  System,  das  nachher  nicht  mehr  weiß  (oder  sogar  verbirgt),  woher es kommt und stammt. 
Die  Empfindung  bzw.  Wahrnehmung  erklärt  er  zur  Quelle  allen  Urteilens.  So  kann  er  gegen  Ende  seines  AntiSeneca  sagen:  Ich  habe  das  Thema  meinen  Empfindungen  entsprechend  abgehandelt und sozusagen meinen Charakter zu Papier gebracht.  Trotz dieses nichts als persönlichen Schreibens geht ihm der  gesellschaftliche,  ja  menschheitliche  Anlaß  nie  verloren.  Wenn er sich gegen Anfeindungen jeder Art wehrt, beteuert  er,  daß  er  nur  danach  strebe,  die  menschliche  Gattung  von  Schuldgefühlen zu befreien.  Er hasse, ja verabscheue alles, was  der Gesellschaft schade. Der Philosoph muß formulieren:  Die  Tugend ist nichts als eine willkürliche Konvention.  Die aber will  er,  auch  wenn  er  sie  nicht  absolut  gelten  läßt,  doch  achten.  Genau  so  wie  er  nichts  tut  oder  tun  will,  was  ihm  Schuld gefühle  verursacht,  obwohl  er  erkennt,  daß  Schuldgefühle  nur  ein Produkt der Erziehung sind.  Er ist ein Moralist der höheren  Art.  Die Ketten der Vorurteile und Schuldgefühle zerbrechen:  Das  ist sein unerschöpfliches Motiv. Sein Ziel: die Glückseligkeit  der  ganzen  Menschheit.  Daß  er,  wie  kühn  er  auch  wird,  immer sich, seine Erfahrung und Empfindung, seinen  amour propre  anruft  zur  Bestätigung  oder  Widerlegung  alles  Gedachten,  das  macht  seine  Verläßlichkeit  aus.  Im  Beiläu figsten  wie  im  Anspruchvollsten.  Wenn  er  müde  sei  vom  Denken  und  Schreiben  und  sich  ganz  leer  fühle,  lese  er  Montaigne  und  empfinde  dann  dessen  Geschriebenes  wie  eine  leichte  Brise,  die  über  die  äußeren  Fasern  des  Kopfes  streicht  und  so  auf  die  inneren  des  Gehirns  wirkt  und  dem  überanstrengten  Gehirn  die  Schwere  mildert.  Und  merkt  dazu an:  Die gleiche Wirkung hat auch ein Guß kalten Wassers:  Das  durch  die  Anspannung  gestaute  Blut  kann  wieder  frei  zirkulieren.  Pfarrer  Kneipp  läßt  grüßen.  Aber  auch  an  Rom  und  Griechenland  wird  man  als  sein  Leser  oft  erinnert.  Überhaupt reichen wir an die Alten nicht heran.  Das läßt ihn sich  zu Cicero und Plinius d. J. zählen,  daß die nur ihre persönlichen  Vorlieben  überschwenglich  dargestellt  haben.  Aber  er  geht  nie  unter in einem Gedankenimpressionismus, sein Thema bleibt  die  Natur,  auch  wenn  er  es  ganz  und  gar  aus  seiner  Emp findung, seinem amourpropre behandelt. 
Trotz  aller  Bildung  kommt  er  wie  ungelehrt  daher.  Nor matives  ist  ihm  fremd.  Das  Denken  geht  den  Sätzen  nicht  voraus, sondern findet in ihnen, durch sie statt. Es gibt, was  er gibt, nur in seinen Sätzen. Die Sätze bezeugen unmittelbar,  aus  welcher  Erfahrung  sie  stammen.  Sein  Gedachtes  drückt  immer  die  Stimmung  aus,  aus  der  es  entstanden  ist.  Eben  diese  erfahrungsgesättigte  Kenntlichkeit,  diese  immer  aus  dem  eigenen  Leben  stammende  Stilistik  hat  ihn  in  Verruf  gebracht.  Bei  den  Theologen  und  bei  den  Aufklärern  gleichermaßen.  Es  charakterisiert  ihn  gewaltig,  wie  Lessing  und Diderot auf ihn geschimpft haben. Lessing empfahl ihm  in  der  Rezension  von  L¹Art  de  jouir  als  Titel  Porneutik.  Priapeische  Ausrufungen  seien  das.  Und  Diderot:  Einen  in  seinen  Sitten  und  Anschauungen  so  verdorbenen  Menschen 

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