Der Augenblick der Liebe
sie Philosophen. Und dann genießerisch weiter: Du weißt, wie Schopenhauer, bekanntlich kein KantFan, das Ding an sich nennt? Gottlieb wußte es nicht. Sie streichelte ihn und sagte: Amateurliga muß das nicht wissen, geträumtes Un ding, so Schopenhauer zum Ding an sich. Gottlieb: Das nehmen wir. Sie wechselte jäh in die Aktivsprache: This is no time for talk, it¹s time for Performance. Let¹s have it in English. Und als wären sie im Studio und sie die Regisseurin, rief sie: Action! Ihm gelang es trotzdem, den bloßen Aktio nismus zu steuern. Als es dann so weit war oder als sie beide gleich so weit sein würden, fühlte er sich vorbereitet, den ersten Wortbeitrag auf Englisch zu liefern, und zwar mit einem Zitat aus ihrem Briefwerk, und das war jetzt, da das Gelingen ja schon begonnen hatte, eher eine Floskel fröh licher Ironie: It ain¹t over till the fat lady sings. Sie schrie auf, fuhr hoch, warf sich weg von ihm, riß, was sie an Decke kriegen konnte, über sich. In ihr wurde offenbar weder die opera noch die Briefstelle wach, sie war bestürzt, getroffen, beleidigt, because of the fat lady. Sie fühlt sich fat. Und dann sagt er¹s ihr auch noch in diesem Augenblick ins Gesicht. In dem Augenblick, dem sie seit Monaten entgegenlebt. Und selbst wenn ER das nicht so gemeint hat, ES war so gemeint. ES hat es so gemeint. Ein Freudian slip.
Gottlieb eilte zur Minibar, holte sämtliche verfügbaren Martinis und flößte ihr ein, soviel sie bereit war, sich ein flößen zu lassen. Und entschuldigte sich ernsthaft. Eins wisse er sicher: Wenn er sie für fat hielte oder wenn sie ihm so vor käme, wäre ein Zitat, das dieses Wort mit sich führte, nie nie nie über seine Lippen gekommen. Aber als er sich das so sagen hörte, merkte er, daß es nicht ganz so war, wie er das sagte. Aber es war auch nicht so, wie sie das gesagt hatte. Also küßte er innig drauflos, spielte Themire und Sylvandre mit ihr, bis sie so weit waren, das vorher Begonnene fortzusetzen und zu einem glücklichen Ende zu bringen. Dann lagen sie aneinandergeschmiegt und flüsterten ihr Schicksal ins grünliche Zwielicht dieses alles ermög lichenden Zimmers. Er flüsterte, er habe, als er drunten in der Lounge die Minuten bis zu ihrer Ankunft gezählt habe, zum geträumten Unding gesagt − nebenbei, er halte das für eine brauchbare Startbezeichnung, das heißt, von da aus gehe es weiter zu immer besseren, das heißt brauchbareren Wörtern −, da habe er also, hingefläzt im Loungesessel, seinem ungeduldigen Unding gesagt: Heute noch wirst du im Paradiese sein. Und jetzt könne er im Namen seines Undings melden, daß ihm nicht zuviel versprochen worden war. Sie flüsterte zurück: Sag noch was Schönes, Sylvandre. Er: Danke, Themire. Sie: Ist Danke was Schönes? Und als ihm nicht gleich eine Antwort einfiel, sagte sie, und das sollte offensichtlich lustig klingen: Are you all set, Sir? Daß das eine Kellnerfloskel war, begriff er. Und antwortete: Not at all. Und sagte, was alles er noch nicht habe, also, was alles er noch wolle und wünsche. Nämlich sie, sie, sie. Also gleich dreimal, sagte sie. Er erschrak ein bißchen, weil er es so konkret nicht gemeint hatte. Er tat aber so, als gebe es keine Grenzen. Und tatsächlich gab es die im Augenblick noch nicht.
Dessen versicherten sie sich noch vor dem Abendessen. Aber da setzte sie ihre Mündlichkeit ein. Nahm ihm, was er noch hatte, so ab und sagte dazu, sie beide seien doch Katho liken, also sei das ihre Kommunion. Da sie so hymnisch dran
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