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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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ziemlich  großen  Lippen  hingen  auseinander,  die  Zähne  zeigten  sich,  das  wirkte  in  diesem  Augenblick  kühn.  Mit dem Coach Service zum Hotel. Da war man, zum Glück,  nicht allein. 
    Er  hatte, zum Glück, bevor er das Zimmer verlassen hatte,  die Vorhänge so weit zugezogen, daß ein Zwielicht entstand.  Sie  sehe  bestimmt  aus  wie  Wum,  sagte  sie.  Er  wußte  nicht,  wer Wum ist. Der Hund, den Loriot erfunden hat. Das haue  sie doch glatt um, die ganze Welt kennt den melancholisch witzigdümmlichen LoriotHund. Vor lauter Verwunderung  ließ  sie  sich  auf  das  Bett  fallen,  schlüpfte  dann  aus  den  Schuhen, drehte sich und imitierte, auf dem Bett kniend, den  Kopf  in  Schieflage,  diesen  Hund.  Er  hatte  das  Gefühl,  er  müsse  Beifall  klatschen.  Und  tat¹s.  Sie  sagte,  sie  sei  Loriot Fan. Und fügte hinzu: Gewesen. Und produzierte gleich ein  paar Figuren und Gesten und Witze, die sie zum Fan dieses  ComicVirtuosen  hatten  werden  lassen.  Und  unterstützte,  was sie sagte und zitierte, durch Mimik und Gestik. War sie  wirklich  so  hingerissen  oder  wollte  sie  ihm  vorführen,  wie  hingerissen  sie  sein  konnte?  Er  mußte  Beifall  spenden.  Sie  konnte ja noch ganze Sketche von dem auswendig. Es wurde  ihre  Show.  Er  setzte  sich.  Als  Zuschauer.  Dann  sprang  sie  plötzlich vom Bett, schlüpfte aus ihrem Kleid, ließ es auf den  Boden rutschen, und setzte sich auf ihn und umschlang ihn  und  küßte  ihn.  Da  konnte  er  wieder  mitmachen.  Er  mußte  die sogenannte Initiative übernehmen. Sie mußte noch sagen,  sie geniere sich nicht, zuzugeben, daß sie LoriotFan gewesen  sei. Er tat so, als begriffe er nicht, wieso sich jemand genieren  sollte, LoriotFan gewesen zu sein. Er sagte aber nicht, daß er  das Wort Fan überhaupt nicht schätzen könne. Offenbar war  er  schon  zu  alt  gewesen,  als  es  zum  ersten  Mal  bei  ihm  auftauchte;  Scharen  oder  Massen  meist  junger  Menschen  strecken  ihre  Hände  in  die  Höhe,  immer  einem  oder  einer  Angebeteten  entgegen,  Augen  und  Münder  gleichermaßen  irre  aufgerissen,  Ekstase  als  Massenwahn,  so  hatte  er  das  Wort  Fan  kennengelernt.  Dieses  kreischende  Außersichsein  blieb ihm fremd. Jetzt war sie also auch ein Fan gewesen. Er  hatte  das  Gefühl,  er  müsse  sie  zurückküssen.  Beim  Küssen  gewann  er  wieder  Präsenz,  das  spürte  er.  Ihre  Münder  gingen  in  einander  auf.  Wie  für  immer.  Es  gab  wirklich  keinen  Grund,  das  je  zu  beenden.  Das  waren  auch  schon  längst keine zwei Münder mehr. Das war ein Drittes. Ein bei  keinem von beiden so Vorkommendes. Das waren sie, beide,  als Einzahl. Als ein Einziges. Aber da es noch andere Körper teile gab, die drankommen wollten, lagen sie dann doch im  Bett.  Da  wollte  er  alles  richtig  machen.  Je  mehr  sie  davon  haben würde, desto mehr hatte er davon. Er hielt es sogar für  möglich,  daß  sie  auch  so  dachte.  Das  hätte  er  als  eine  Minderung des Möglichen empfunden. Sie sollte nichts sein  als  eine,  der  es  gut  ging.  Sie  sollte  nur  sich  empfinden.  Natürlich  durch  ihn.  Er  mußte  ihr  möglichst  unaufwendig  verwehren,  daß  sie  sich  gleich  mit  dem  Mund  seiner  be mächtige.  So  nah  waren  die  Leiber  einander  noch  nicht.  Sie  führte. Das konnte ihm nicht recht sein. Er übernahm. Wenn  sie  führte,  lagen  sie  in  zehn  Minuten  neben  einander  wie  zwei  abgebrannte  Feuerwerkskörper.  Das  kann  doch  nicht  der  Sinn  dieser  quälend  langsamen  Annäherung  gewesen  sein.  Sollten  sie  nicht  zuerst  einen  Wörterabtausch  durch spielen? Wie heißt bei dir das, wie nennst du das? Sie waren  doch Sprachmenschen. Und schon der erste Versuch glückte.  Er nannte, was er zur Verfügung stellte, Ding und fragte, wie  sie sein Ding nenne. Und sie: Ding an sich. Schließlich seien 

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