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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Zahlen reagieren zu können, also sagte sie: Fünf zu vier. Für  sie.  Als  man  wieder  bei  Atem  war  und  immer  noch  zur  Decke  statt  einander  in  die  Augen  schaute,  sagte  sie,  ihre  Organisiertheit,  La  Mettriesch  gesprochen,  sei  schon  ein  Jammer, ausgerechnet bei ihrer Lieblingsbeschäftigung habe  sie  immer  Schwitzhände  und  diese  kalten  Füße.  Gottlieb  holte sie schnell neben sich, drehte sich zu ihr hin und küßte  ihr  den  Mund  zu,  daß  sie  nicht  weitere  Nachrichten  dieser  Art spenden konnte. Aber er war auch hingerissen vom Tat sächlichkeitsniveau dieser Mitteilung. Er mußte ihr das auch  sagen. 
Ich bewundere dich, sagte er. 
Sie:  Das  darfst  du.  Besonders  wenn  du  noch  dazusagst,  warum. 
Wenn er es ihr auseinanderlege, Gründe formuliere, bleibe  von  der  fühlbaren  Wucht  seiner  augenblicklichen  Bewun derung nur noch eine Inhaltsangabe. Er bewundere sie, weil  sie durch eine solche glanzlose Mitteilung ihn und sich selber  geradezu zusammenschmelze. Mehr Intimität als durch eine  solche  Schwitzhände  und  KalteFüßeMitteilung  gibt  es  überhaupt nicht. 
Als  er  ihr  und  sich  seine  Hingerissenheit  und  Rührung  so  aufsagte,  riß  er  sich  noch  einmal  hin  und  sie  dann  auch.  Diesmal  war  er  es,  der  sagte:  Know  the  score.  Er  fand  al lerdings, es sei höchste Zeit, daß sie wisse, was er hier brin ge,  sei  nicht  seine  Normalform,  sondern  das  Ergebnis  eines  fast  schon  epochalen  Staus.  Also  eine  Ausschüttung  von  Angespartem, aber dann Hochverzinstem. 
Diese Mitteilung war auch eine Folge ihrer Mitteilung über  Schwitzhände und kalte Füße. Er hatte zwar ihre Mitteilung  stürmisch begrüßt, aber ihm selber war der Eifer, mit dem er  die  Begeisterung  über  soviel  Offenheit  ist  gleich  Nähe  produziert hatte, verdächtig. Er hatte den Schrecken nieder reden  müssen,  den  ihre  Mitteilung  auch  bewirkt  hatte.  Wirklich  nicht  nur  Schrecken.  Sie  lag  inzwischen  daumen lutschend  an  ihm.  Wie  hätte  er  da  nicht  an  Regina  denken  müssen!  Und  sagen  mußte  er  ihr  das  auch. Auf  Regina,  die  zwei  Jahre  jünger  war  als  sie,  war  sie  nicht  eifersüchtig.  Er  brauchte  jetzt  das  Reginaleben.  Er  floh  ins  Reginaschicksal.  Von Julia wußte Beate soviel, von Regina so gut wie nichts.  Du  kannst  ruhig  weiter  daumenlutschen.  Regina  hat  von  allen  seinen  Kindern  am  längsten  und  heftigsten  daumen gelutscht.  Jetzt  ernährt  sie  einen  Künstler,  einen  Bildhauer,  der  sich  weigert,  Aufträge  anzunehmen.  Für  ihn  wäre  das  Prostitution. Er formt nur Kugeln, setzt alles, was er macht,  aus Kugeln zusammen. Menschen, Pferde, Wale, Geier oder  Ideen,  er  kann  alles  aus  Kugeln  bilden.  Er  nennt  sich:  mystischer  Bildhauer  und  Sphärist.  Eines  Tages  wird  die  Welt  sein  Atelier  stürmen  und  ihm  alles  aus  den  Händen  reißen,  bevor  es  fertig  ist.  Bis  dahin  muß  Regina  ihn  ernähren.  In  einer  Agentur  für  Zirkusartisten  arbeitet  sie.  Und  das  in  Wien.  Am  Telephon  klingt  sie,  als  mache  es  nichts  als  Spaß,  ein  Genie  zu  ernähren.  Er  hält  es  für  eine  Auszeichnung,  ihn  ernähren  zu  dürfen.  Und  Regina  fühlt  sich ausgezeichnet. Der Sphärismus wird für eine noch nicht  absehbare  Zeit  die  Kunstszene  beherrschen.  Die  Kugel  ist  nun  einmal  das  einzige  Vollkommene  überhaupt,  Leben  konnte  nur  auf  einer  Kugel  entstehen,  Uwe  Seeler  hat  es  goldrichtig formuliert: Das Geheimnis des Fußballs ist ja der  Ball. Gottlieb hatte dem Sphäristen einmal einen Abend lang  zugehört,  seitdem  begriff  er,  warum  Regina  bereit  war,  ihr  Leben  im  Leben  des  Sphäristen  beziehungsweise  im  Sphärismus  auf  oder  vielleicht  auch  untergehen  zu  lassen.  Die  Unbedingtheit,  mit  der  der  an  sich  glaubte.  Nein,  nicht  an  sich,  sondern 

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