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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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licher. Man würde schon in Gedanken lügen. Das muß man,  wenn  man  sich  zu  hüten  hat,  ohnehin  tun.  Beim  ersten  Frühstück im  Durant,  das sie, um nicht gesehen zu werden,  auf sein Zimmer kommen ließen, hatte sie, als er sie anschau te, gesagt: I can read your mind. Darauf hatte er tatsächlich  mehr  als  einen  Augenblick  lang  nicht  mehr  gewußt,  was  er  denken  sollte.  Wenn  wenigstens  die  Augen  so  angebracht  wären, daß man sich auch selber andauernd sähe, vor allem  das  eigene  Gesicht,  beim  Sprechen,  dann  unterbliebe  viel.  Andererseits  hat  Rousseaus  dreißig  Jahre  älterer  barbou  mit  Recht die schlimmste Folter darin gesehen, sich selber so zu  sehen, wie Sara ihn sieht. Und Anna mutet er sich zu. Noch  und noch. So gut wie nie denkt er daran, daß er, wenn sie ihn  anschaut, genau so alt ist, wie wenn Beate ihn anschaut. Laß  mich  gehen,  hätte  er  jetzt  an  liebsten  zu  Beate  gesagt.  Zum  Glück hatte er auf dem Flughafen RaleighDurham noch eine  Flasche Bourbon gekauft. Man sah ihr an, daß sie, als sie ihn  zum Bourbon übergehen sah, daran dachte, ihm die Flasche  wegzutrinken.  Sie  spürte,  daß  er  sich  wieder  in  die  alkoho lische  Unbelangbarkeit  retten  wollte.  Er  hätte  ihr  gern  die  Stellen aus den  Briefen an Sara  vorgelesen. Statt dessen sagte  er, dieser Bourbon überrasche ihn jedes Mal wieder, der sei  einfach gut. Und sie: Calvados ist besser. Das war die falsche  Fährte.  Die  WeißtdunochFährte.  Allein  sein,  und  nichts  anderes  wollen.  Das  schwebte  ihm  vor  als  Stimmung.  Und  ganz  akut  beherrschte  ihn  das  Wort  Studentenbude.  Das  Zimmer war durchaus ein Zimmer, aber die Liege war kein  Bett,  das  Sofa  Trödel,  das  Sofatischchen  ein  aus  einem  Schiffbruch  stammendes  Brett  auf  Pionierzeitklötzen,  der  Arbeitstisch ein romantisches Gestell. Ausschlaggebend war  immer das Klo. Als er noch mäkelte. Zeige mir dein Klo, und  ich sage dir, wer du bist. Davon kam er nicht los. Ihr Klo war  simpel,  sauber,  ambitioniert,  roch  leicht  nach  Zimt:  wollte  letzten  Endes  kein  Klo  sein.  Gesamteindruck:  lieb.  Gottlieb  Zürn in einer Studenten ... nein, in einer Studentinnenbude.  Er wollte sagen: Wir tun einander weh, nur weil wir sind. Er  war froh, daß er das nicht sagen mußte. Turpe senilis amor.  Das  konnte  er  auch  nicht  sagen.  Alles,  was  er  sagen  wollte,  würde, wenn er es sagte, wie eine Ausrede klingen. Er wollte  das Ende verschwiemeln, wegschummeln, schönfärben. Dise  Rotzveredler,  diese  Fallenvergolder,  diese  als  Philosophen  geschminkten Lügenbarone! Deren Wortweisungen sollte er  jetzt folgen. Alles, was er sagen konnte, war wahrhaft wert los.  Hier,  in  diesem  Zimmer,  zählte  jetzt  nur  Empfindung.  Und  die  fehlte  ihm.  Jetzt.  Lieblos  sein,  das  läßt  sich  nicht  sagen.  Und  schon  bildete  sich  flugs  die  Rechtfertigung.  Symmetrie  als  moralische  Qualität.  Er  muß  hier  lügen,  darf  hier  lügen,  weil  er  zu  Hause  auch  gelogen  hat.  Durch  Verschweigen  hat  er  Anna  belogen.  Durch  Verschweigen  belügt er jetzt Beate. Durch Verschweigen hat er Beate schon  während  der  Schreib  und  Telephonierzeit  belogen.  Beate  mußte glauben, er schlafe nicht mehr mit Anna. Sonst hätte  sie  die  Schreib  und  Telephonierzeit  nicht  überstanden.  Sie  brauchte  diese  Meldung;  daß  eine  Zeit  lang  genau  das  Ge genteil der Fall war, war nicht sagbar. Er hatte sich eine Zeit  lang  verpflichtet  gefühlt,  Anna  auch  etwas  zukommen  zu  lassen  von  seiner  Beate  zu  verdankenden  Lebhaftigkeit.  Könnte  man  wirklich  sprechen  mit  einander,  dann  hätte  er  Beate  als  einen  Beweis  ihrer  Wirkung  melden  können,  daß  das Ehepaar Zürn, nachdem sie erschienen war, lebhafter mit  einander  verkehre  als  vordem.  Aber  so  wie  alles  ist  und  zu  sein 

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