Der Augenblick der Liebe
licher. Man würde schon in Gedanken lügen. Das muß man, wenn man sich zu hüten hat, ohnehin tun. Beim ersten Frühstück im Durant, das sie, um nicht gesehen zu werden, auf sein Zimmer kommen ließen, hatte sie, als er sie anschau te, gesagt: I can read your mind. Darauf hatte er tatsächlich mehr als einen Augenblick lang nicht mehr gewußt, was er denken sollte. Wenn wenigstens die Augen so angebracht wären, daß man sich auch selber andauernd sähe, vor allem das eigene Gesicht, beim Sprechen, dann unterbliebe viel. Andererseits hat Rousseaus dreißig Jahre älterer barbou mit Recht die schlimmste Folter darin gesehen, sich selber so zu sehen, wie Sara ihn sieht. Und Anna mutet er sich zu. Noch und noch. So gut wie nie denkt er daran, daß er, wenn sie ihn anschaut, genau so alt ist, wie wenn Beate ihn anschaut. Laß mich gehen, hätte er jetzt an liebsten zu Beate gesagt. Zum Glück hatte er auf dem Flughafen RaleighDurham noch eine Flasche Bourbon gekauft. Man sah ihr an, daß sie, als sie ihn zum Bourbon übergehen sah, daran dachte, ihm die Flasche wegzutrinken. Sie spürte, daß er sich wieder in die alkoho lische Unbelangbarkeit retten wollte. Er hätte ihr gern die Stellen aus den Briefen an Sara vorgelesen. Statt dessen sagte er, dieser Bourbon überrasche ihn jedes Mal wieder, der sei einfach gut. Und sie: Calvados ist besser. Das war die falsche Fährte. Die WeißtdunochFährte. Allein sein, und nichts anderes wollen. Das schwebte ihm vor als Stimmung. Und ganz akut beherrschte ihn das Wort Studentenbude. Das Zimmer war durchaus ein Zimmer, aber die Liege war kein Bett, das Sofa Trödel, das Sofatischchen ein aus einem Schiffbruch stammendes Brett auf Pionierzeitklötzen, der Arbeitstisch ein romantisches Gestell. Ausschlaggebend war immer das Klo. Als er noch mäkelte. Zeige mir dein Klo, und ich sage dir, wer du bist. Davon kam er nicht los. Ihr Klo war simpel, sauber, ambitioniert, roch leicht nach Zimt: wollte letzten Endes kein Klo sein. Gesamteindruck: lieb. Gottlieb Zürn in einer Studenten ... nein, in einer Studentinnenbude. Er wollte sagen: Wir tun einander weh, nur weil wir sind. Er war froh, daß er das nicht sagen mußte. Turpe senilis amor. Das konnte er auch nicht sagen. Alles, was er sagen wollte, würde, wenn er es sagte, wie eine Ausrede klingen. Er wollte das Ende verschwiemeln, wegschummeln, schönfärben. Dise Rotzveredler, diese Fallenvergolder, diese als Philosophen geschminkten Lügenbarone! Deren Wortweisungen sollte er jetzt folgen. Alles, was er sagen konnte, war wahrhaft wert los. Hier, in diesem Zimmer, zählte jetzt nur Empfindung. Und die fehlte ihm. Jetzt. Lieblos sein, das läßt sich nicht sagen. Und schon bildete sich flugs die Rechtfertigung. Symmetrie als moralische Qualität. Er muß hier lügen, darf hier lügen, weil er zu Hause auch gelogen hat. Durch Verschweigen hat er Anna belogen. Durch Verschweigen belügt er jetzt Beate. Durch Verschweigen hat er Beate schon während der Schreib und Telephonierzeit belogen. Beate mußte glauben, er schlafe nicht mehr mit Anna. Sonst hätte sie die Schreib und Telephonierzeit nicht überstanden. Sie brauchte diese Meldung; daß eine Zeit lang genau das Ge genteil der Fall war, war nicht sagbar. Er hatte sich eine Zeit lang verpflichtet gefühlt, Anna auch etwas zukommen zu lassen von seiner Beate zu verdankenden Lebhaftigkeit. Könnte man wirklich sprechen mit einander, dann hätte er Beate als einen Beweis ihrer Wirkung melden können, daß das Ehepaar Zürn, nachdem sie erschienen war, lebhafter mit einander verkehre als vordem. Aber so wie alles ist und zu sein
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