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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Ferien verbracht und eine innere Beziehung zu diesem Teil Seelands und eben nicht zu Gilleleje und anderen Orten im nördlichen Seeland, wo die Kopenhagener sonst hinfahren. Ihre Eltern hatten ein kleines Sommerhaus auf Sjællands Odde gehabt, aber Niels hatte sie überredet, es zu verkaufen. Sie sagte es nicht direkt, aber es lag in der Luft, daß er den Ort nicht mondän genug gefunden hatte. Es war schon seltsam mit meinem alten Vaterland. Von außen gesehen war Dänemark ein homogenes und wohlhabendes kleines Land, in dem alle einander mehr oder weniger glichen, in den gleichen Häusern wohnten, die gleichen Mittelklasseautos fuhren und in den gleichen legeren Sachen herumliefen. Schaute man aber ein wenig unter die Oberfläche, war der dänische Stamm in Gruppen und Untergruppen aufgeteilt, und die verschiedenen Gruppen hatten außerhalb des Arbeitslebens fast nichts miteinander zu tun. Eine wirtschaftliche Klassentrennung in dem Maße wie in meiner Kindheit gab es nicht mehr, dafür aber eine Trennung nach Haltungen und Einstellungen. Man hielt sich an Gleichgesinnte, zog dorthin, wo sie wohnten, verkehrte mit ihnen privat. Daß es für Fremde schwer war, mit Dänen in Kontakt zu kommen, war nicht zu leugnen, wenn man erlebte, wie schwer es für die Dänen selbst war, wider allen Snobismus und Bildungsdünkel miteinander in Kontakt zu kommen.
    Dänemark war ein Land, in dem der zufällige Betrachter durch die Idylle und die Verehrung von Fahne, Königshaus und Nationalelf getäuscht wurde. Die Dänen waren ein gespaltenes Volk, wo man selten mit anderen sprach als denen, mit denen man einig war, oder denen, die denselben Lebensstil pflegten wie man selbst.
    Ich erzählte Clara von meinen Gedanken, während wir in dem dichten Verkehr, der zur Fähre nach Aarhus strömte, die schmalen Straßen entlangfuhren. Wie ein goldener Teppich lagen die abgeernteten Felder im frühen, weichen Nachmittagslicht zwischen den gepflegten Höfen. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel, und der Fahrtwind zerzauste durch das halb geöffnete Fenster Claras Haar und wehte den Duft von Stroh und Korn herein.
    Laut, um den lärmenden Wind zu übertönen, sagte sie: »Ich bin bei der Polizei angestellt. Du brauchst mir über Gegensätze in dieser Gesellschaft nichts zu sagen. Ich sehe die Zweidrittelgesellschaft jeden Tag. Ein Drittel liegt am Boden, aber wir sind clever. Wir bezahlen für unsere soziale Ruhe. Wir befrieden sie mit Sozialhilfe. Deshalb akzeptiert die Mittelklasse
    – so jemand wie ich – die hohen Steuern. So können wir unser Leben in Frieden leben. So gibt es Geld, um die Ausgestoßenen ruhig zu halten.«
    »Das habe ich eigentlich nicht gemeint. Aber ist auch egal.
    Das klingt ja, als sei die Ordnungsmacht ganz revolutionär«, sagte ich.
    »Nein, nein. Ganz im Gegenteil. Das System ist wunderbar für so eine wie mich. Wie Niels immer sagte, und damit hatte er ja recht: Alle MittelklasseDänen sind irgendwo Sozialdemokraten, also kann man im Grunde auch gleich den Schritt machen und in die Partei gehen und damit auch den richtigen Einfluß kriegen.«
    »Und die Wohnungen und so weiter?«
    »Das kommt hinterher.«
    »Du hast es also auch so gemacht?« fragte ich.
    »Nein. Habe ich nicht. Ich bin nirgendwo Mitglied.«
     
    Sie überholte schnell, aber knapp ein langsames Auto und grüßte ironisch mit der Hand, als uns der entgegenkommende Wagen giftig anblinkte und sie wieder auf die rechte Fahrbahn zog.
    »Im Verkehr hingegen sind die Dänen wahre Individualisten«, sagte sie. »Da sind sie wieder freie Wikinger.«
    Ich lachte mit ihr über den herrlichen Tag. Plötzlich, als wir den Scheitel eines sanft gewölbten Hügels erreicht hatten, tauchte links wie durch einen Taschenspielertrick die blau schimmernde Sejerø-Bucht auf, und kurz darauf hatten wir das Kattegat zur Rechten und die Ferienhäuser zur Linken. Sie fuhr an einem Laden vorbei, bog nach links ab und fuhr zunächst eine Asphaltstraße und dann einen Kiesweg hinunter auf ein mit Erika bewachsenes Gelände, wo sie parkte. Gerade vor uns konnte ich zwischen den Bäumen das Wasser sehen.
    »Nicht weit von hier hatten meine Eltern ihr Häuschen. Das ist eine der vielen Sachen mit Niels, die ich bereue. Daß er mich überredet hat, es zu verkaufen«, sagte sie und holte eine Basttasche aus dem Kofferraum. Ich konnte zwei Handtücher, eine Decke, eine Thermoskanne und zwei Plastikbecher sehen.
    »Ich hab auch eine Badehose für dich«, sagte

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