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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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schimmerten ein wenig. Sie stand still und ließ sich betrachten, als wollte sie sagen: Hier bin ich. Hier ist mein Körper.
    Wir machten einen Schritt aufeinander zu.
    »Clara«, sagte ich.
    Rasch machte sie drei Schritte, legte ihren Finger auf meine Lippen und machte »pst« wie zu einem kleinen Kind. Ich fühlte ihre Brüste an meinem T-Shirt und ihren Schoß an meinem aufgerichteten Glied. Ihre Augen waren weit offen und feucht, als wäre sie ängstlich oder nahe am Weinen.
    »Clara«, sagte ich wieder, und sie machte wieder »pst« und sagte: »Nichts sagen, Peter Lime. Nichts sagen. Jetzt sollen Worte uns nichts mehr zerstören.«
     
    20
    Nachdem wir uns das erste Mal geliebt hatten, fing ich an zu weinen. Ich sehe mich eigentlich nicht als gefühlsbetonten, weichen Mann. Vor Amelias und Maria Luisas Tod hatte ich, soweit ich mich erinnere, als Erwachsener nie geweint, und ich fand es peinlich, wenn Männer in den Siebzigern ihr Seelenleben nach außen stülpten und mit Tränen in den Augen schluchzend erzählten, wie schrecklich schwierig es mit den Frauen war. Fuck them and leave them, war mein arroganter Wahlspruch. Aber in dem Berliner Hotelbett konnte ich die Tränen nicht zurückhalten, und das Weinen fing erst mit ein paar Schluchzern an und ging über in einen Schluckauf und allzu viele Tränen, bis Clara schließlich, obwohl ich mich dagegen sträubte, meinen Kopf an ihre Brust drückte und mir übers Haar strich, wie sie es bei einem kleinen Kind gemacht hätte, das sich weh getan hatte. Ich weinte über all die vertanen Möglichkeiten und die Ungerechtigkeiten des Lebens darüber, daß ich nicht über meine furchtbare Sehnsucht hinwegkommen konnte, aber auch, weil die Vereinigung mit Clara eine Erlösung gewesen war. Mir war, als hätte sich mein Bewußtsein, oder besser: meine Seele, von der quälenden Vergangenheit zwar nicht völlig befreit, aber zumindest für eine Weile losgekauft.
    Amelia und Maria Luisa würden immer die stärkste Erinnerung in meinem Leben sein, aber jetzt schien ich immerhin die Aussicht zu haben, die Wunde behutsam in einen Verband des Vergessens hüllen zu können.
    Das Weinen verging und wurde von Scham gefolgt, und ich wollte mich von Clara lösen. Sie beugte sich über mein Gesicht und küßte es und leckte zärtlich die Tränen von meinem Gesicht. Träne um Träne küßte sie von Augenlidern, Wangen, Hals und Brust, und schließlich liebkoste ihre Zunge meine Lippen mit zarter Vorsicht, ehe sie ihren Mund über meinem schloß. Ihre Zunge ließ meine Lust mit einer Macht zurückkehren, die ich nicht für möglich gehalten hätte, und ich stieß sie auf den Rücken und drang so heftig in sie ein, daß sie einen kleinen Schrei von sich gab. Aber schnell schlang sie ihre Beine um mich und drückte mich noch tiefer hinein, und wieder verschwand die Welt um uns herum.
    Noch hatten wir kein Wort miteinander geredet.
    Aber das taten wir nun. Wir lagen im Bett und redeten und tranken den Rotwein aus der Minibar. Wir redeten nicht über uns beide, sondern jeder erzählte von sich, von der Zeit, bevor wir uns kennengelernt hatten. Vor allem ich: zuerst über Amelia und Maria Luisa, aber auch über meine Kindheit, an die ich seit vielen Jahren nicht mehr gedacht hatte, und über meine frühe Jugend, über meine Alkoholprobleme. Clara lag in meinem Arm und stellte ab und zu eine Frage, hörte aber meist einfach nur zu.
    Sie erzählte nicht sehr viel von sich. An ihre Kindheit erinnerte sie sich nicht sehr gut. Vielleicht weil es eine glückliche Kindheit gewesen war? Bis zu ihrer Hochzeit war ihr Leben im Grunde ganz unkompliziert gewesen. Darüber zu reden sei nicht sehr interessant, meinte sie. Vielleicht weil es von einer glücklichen Zeit nicht viel zu erzählen gibt. Vielleicht weil es mich in Wirklichkeit nichts anging oder weil sie in diesem Moment eine Scheu hatte, zu viel von sich preiszugeben.
    »Du bist sicher ein reizendes kleines Mädchen gewesen«, sagte ich.
    Sie setzte sich auf, lehnte sich an das Bettgitter und streckte ihre Arme so über den Kopf, daß sich meine Lust wieder meldete.
    »Ich war voller Pickel«, sagte sie. »Und jetzt habe ich Hunger.«
    Auch ich hatte Hunger – einen Bärenhunger auf Fleisch, Berge von Kartoffeln und solider deutscher Soße. Es war nach Mitternacht, und als ich den Zimmerservice anrief, konnte er nur mit Gemüsesuppe, Sandwich oder Omelett dienen. Ich bestellte alles auf einmal, dazu eine Flasche Wein und Mineralwasser.
    Clara

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