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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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seinen Augen, und ich machte mich bereit, ihn mit Gewalt wieder in die Schranken zu weisen. Ich war wütend und verzweifelt und wünschte, er würde irgendeinen Versuch unternehmen, damit ich meine Aggressivität abreagieren konnte.
    »Was ist mit Karl Heinrich? Hat er auch daran geglaubt?«
    Der schwere Mann beugte sich vor und fand in der Schweinerei auf seinem Tisch eine Zigarette, steckte sie an und lehnte sich wieder zurück.
    »Er wurde in diesen Glauben hineingeboren. Sein Vater kam 1948 aus sowjetischer Gefangenschaft und war Kommunist geworden. Karl wurde 1950 geboren, ein Jahr nach Gründung der NATO und der Bundesrepublik. Das war Verrat. Karl Heinrich bekam seinen politischen Glauben mit der Muttermilch eingeflößt. Nur ein sozialistischer deutscher Staat konnte die Wiederkunft des Faschismus verhindern. Ich habe Karl Heinrich angeheuert, als er vierzehn war und bereits Leiter der FDJ-Gruppe seiner Schule. Er unterschrieb die Erklärung, niemals sein Land zu verraten oder über seine Arbeit für das MfS zu berichten. Und er hat sein Wort gehalten.«
    »Und weiter?« sagte ich bloß.
    »Er war einfach gut, und wir waren von seiner ideologischen Standhaftigkeit überzeugt, also schickten wir ihn mit neuer Identität auf die andere Seite. Wir hatten schon zwei Agenten in Frankfurt plaziert, ein Ehepaar, das altersmäßig paßte, um einen Sohn wie Karl Heinrich zu haben, der nun zu Oscar wurde. Wir versetzten sie nach Hamburg, und der Rest ist Geschichte, wie man sagt. Er war einer unserer Besten. Ich hatte die Ehre, ihn zu führen. Darauf bin ich stolz. Er wurde wie ein Sohn für mich. Er ließ sich nie korrumpieren. Das ist alles.«
    »Nicht ganz«, sagte ich. »Nicht ganz.«
    »Wie meinst du das?«
    »Was hat Oscar gemacht?« fragte ich.
    »Operationelle Sachen. Alles mögliche.«
     
    Sein Blick wurde fern, er schielte und guckte weg. Ich schlug ihm zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht. Er durfte seine Angst nicht vergessen. Er mußte vor mir mehr Angst haben als vor dem einst abgelegten Schwur, nicht zu plaudern. Er versuchte sich zu wehren, aber er war nur ein betrunkener, alter Mann. Ein Wrack des Kalten Kriegs, er hatte keine Chance. Ich nahm ihm die Flasche weg und hielt sie fest.
    »Ich hab dich gefragt, was Oscar gemacht hat«, sagte ich.
    Er hielt sich wieder die Hände vors Gesicht.
    »Agenten anwerben, Meinungsbildung beeinflussen.«
    »Ein dänisches Mädchen mit Namen Lola zum Beispiel.«
    Die Farbe wich aus seinem Gesicht, er war ein schlechter Lügner, obwohl er doch dem Reich der Lüge gedient hatte.
    »Der Name sagt mir nichts.«
    Er hatte erwartet, daß ich ihn wieder mit der Rechten schlagen würde, aber diesmal schlug ich ihm einen kurzen linken Jab unter die Nase. Er sackte ins Sofa zurück, und das Blut rann ihm langsam aus der Nase.
    »Ich hab dich gewarnt, Helmut. Ich hab beschissene Laune.
    Du warst sein Führungsoffizier seit 1964. Ich hab nach einer Dänin namens Lola gefragt.«
    »In Ordnung, Lime. In Ordnung. Hör auf zu schlagen. Gib mir nur die Flasche.«
    »Lola«, sagte ich.
    »Sie war eine seiner besseren Agentinnen. Sie machte es allen Männern recht und brachte sie zum Plaudern. Karl Heinrich warb sie an. Ich hab sie übernommen.«
    »Warum?«
    »Es ist nicht gut, wenn ein Mann seine Frau führt.«
    Ich muß sehr entgeistert ausgesehen haben, denn er lachte verächtlich. Das Lachen ging in Husten über. Als er den Anfall überstanden hatte, sagte er: »Du hast ganz richtig gehört, Peter Lime. Es war das beste Paar, das ich je im Feld hatte. Sie hatten jeder seine Talente, und sie waren bereit, ihren Kopf und ihren Körper einzusetzen. Sie dienten dem Staat vorbildlich.«
    »Wann wurden sie geschieden?«
    »Geschieden? Soweit ich weiß, sind sie nach wie vor miteinander verheiratet, jedenfalls nach DDR-Recht. Natürlich hatte sie andere. Na und? Meinst du, sie leben nach den gängigen Normen oder nach der bürgerlichen Moral? Sie gehörten einander, sogar auf Entfernung. Sie waren größer als du und ich.«
    »Wo ist sie jetzt?«
    »Ich weiß es nicht. Ich bin Frührentner. Ich weiß nichts.«
    Ich ging wieder einen Schritt auf ihn zu.
    »Die Wohnung hier kannst du nicht bezahlen«, sagte ich.
    »Oscar und eventuell Lola helfen dir, also frage ich noch einmal: Wo ist sie?«
    »Sie ist in Moskau. Es gibt da Beziehungen aus alten Tagen.
    Das ist Wurscht, Lime. Wir haben für einen souveränen, anerkannten Staat gearbeitet. Wir haben nichts Strafbares gemacht. Die

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