Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
Angelegenheit steht, auch unter dem Druck, die Wahrheit zu verheimlichen. So entsteht ein scharfer Korporationsgeist, wie bei der Polizei. Kritik wird nicht geduldet. Das ist unerträglich! Der politische Druck wird, ausgehend von Berlin, auf die Spitze der Behörde ausgeübt und von da weitergegeben, bis ganz nach unten, bis zum Kunden letztendlich. Und der schweigt und ist erschüttert.
Jeder, der mindestens drei Stunden pro Tag arbeiten kann, gilt als ›erwerbsfähig‹, das ist sozusagen ein Hauptbestandteil von Hartz IV. Und dadurch, daß es für erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger keine Sozialhilfe mehr gibt, sondern ALG II, wurden plötzlich circa 90 Prozent der Sozialhilfeempfänger, auf einen Schlag sozusagen, zu ›erwerbsfähigen Arbeitslosen‹. Man war stolz auf den Rückgang der Zahl an Sozialhilfeempfängern um 90 Prozent. Daß durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe natürlich die Arbeitslosenstatistik enorm steigen wird, hat man offenbar nicht erwartet. Da gab’s Geschrei. Man wollte einfach nicht sehen, die Leute waren ja schon vorher arbeitslos! Es hat aber keinen interessiert, sie waren ja unsichtbar, zu Lasten der Kommunen. Dazu kommt die Masse der Leute, also der Arbeitslosen, die bisher Arbeitslosenhilfe bezogen haben – Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe wurden ja nach SGB III abgehandelt –, also, die bekommen jetzt auch ALG II.
Nur für die Anspruchsberechtigten gibt es weiterhin Arbeitslosengeld I nach SGB III, aber die Anspruchsdauer hat sich stark verringert – auch hier hat man eine dicke Salamischeibe abgeschnitten, im Rahmen der Umverteilung von unten nach oben. Ausgenommen sind für eine Übergangszeit die über 58-Jährigen, sofern sie nach §428/SGB III unterschrieben haben, d. h. sie konnten Arbeitslosengeld oder -hilfe zu ›erleichterten Bedingungen‹ beziehen, also Urlaubsanspruch, keine Meldepflicht, keine Eigenbemühungen usw., und dafür müssen sie a) zum frühestmöglichen Zeitraum in Rente gehen und b) als ›Arbeitssuchende‹ weiterhin den Vermittlungsservice der Agentur in Anspruch nehmen, das ist nur so pro forma. Worum es eigentlich geht: Die sind dadurch außen vor, die zählen nicht mehr als Arbeitslose, sondern nur noch als Arbeitssuchende. Das ist der statistische Trick, die fliegen aus der Statistik raus! Dann kommen noch dazu all diejenigen, die in einer Trainingsmaßnahme sind, Leute in Fortbildung und Umschulung. Die dritte Gruppe, die aus der Statistik verschwindet, ist die mit den Ein-Euro-Jobs, der ›Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung‹ nach § 16 Abs. B SGB II, wie die Euro-Jobs im Amtsdeutsch heißen – oder auch nur Arbeitsgelegenheiten, Aktivjobs, Zusatzjobs, es gibt bundesweit keine Sprachregelung. 200000 Arbeitslose wurden bereits in Ein-Euro-Jobs vermittelt, 600000 sollen es werden, bundesweit.
Bevor ich näher auf die Ein-Euro-Jobs eingehe, möchte ich kurz noch was zum ALG II sagen, nur so zum Grundverständnis. Also, die Regelleistung beträgt 345 Euro in den alten Bundesländern, einschließlich Berlin-Ost, und 331 Euro in den neuen Bundesländern, für einen Singlehaushalt. Diese Kosten trägt der Bund. Die Kosten für die Unterkunft, die maximal 50 Quadratmeter – bei selbstgenutzten Eigentumswohnungen 120 Quadratmeter – haben darf für eine Einzelperson, werden von den Kommunen getragen – bis auf die Ausnahmen der Optionskommunen, die noch beides machen. Die Kosten der Unterkunft setzen sich aus Miete und Heizkosten zusammen, plus der üblichen Betriebskosten. Die Nettokaltmiete soll den Betrag von 245 Euro nicht überschreiten. Die Kosten für Haushaltsstrom und Warmwasserzubereitung sind übrigens in der Regelleistung von 345 Euro bereits erhalten, was ja eigentlich eine Wohnung mit Bad überflüssig macht. Ist ein Bad angemessen? Das müssen Sie selbst entscheiden. Angemessen ist eines der meistgebrauchten Worte. Angemessen im Vergleich wozu? Das Wort ist aus der Sozialhilfe mitübernommen worden.
Angemessen ist für jeden Langzeitarbeitslosen künftig der Haushalt eines Sozialhilfeempfängers, weil er dem ALG II zugrundegelegt wurde Im Moment gibt es noch zahlreiche Erleichterungen, Zusatzleistungen, Übergangsregelungen, aber ab demnächst ist das vorbei, dann wird es ernst. Man hat zwar beteuert, man wolle Härten vermeiden, aber gerade die Härten sind ja das Grundprinzip der ›Arbeitsmarktreform‹, die Privatisierung der sozialen Risiken ist auf dem
Weitere Kostenlose Bücher