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Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Titel: Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Goettle
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unter den vielen Wachsausgüssen ja sehr leiden, zu schonen. Außerdem wurde die gesamte Arbeit natürlich erleichtert. Und wenn ich ein Original gemacht habe, dann habe ich einen zweiten Ausguß gemacht, der dann das Modell für die nächsten Formen war. Also, im Keller lagen wohlgeordnete und durchnumerierte Silikonformen, ausgegossen mit Wachs und mit Gips ummantelt, zur Stabilisierung abgedichtet mit einer Papplatte. Bei meinem Abgang 1980 habe ich das alles so hinterlassen. Ebenso die Kartei und die Rezepte für die Wachsmixtur. 1990 nach der Wende wurde die Moulagenabteilung ja dann geschlossen; heute lagert alles im Keller, bis auf die Sachen, die in die Daueraustellung integriert sind. Ja, und 1993 wurde dann ein Kolloquium veranstaltet mit Ausstellung, da konnten sie alles noch mal sehen; ich habe meine Technik vorgestellt, es wurde eine Broschüre gemacht, und sogar ein Film wurde gedreht. Anläßlich dieses Kolloquiums bin ich im Keller gewesen. Und das war schon ein Schock. Da lagen die Silikonformen ohne Schutzhülle so labberig rum, ausgegossen waren sie sowieso nicht, und die Gipsformen … Ich konnte das gar nicht anschaun. 5
    Ich sah das ja kommen. Ich hatte immer darum gebeten, einen geeigneten Menschen zu bekommen zur Ausbildung, aber nein! Das Rentenalter kam immer näher. Da hat man mir einen Mann in die Abteilung gesetzt, der zuvor in der Kunststoffabteilung so Herzen anmalte usw. Und nach einer gewissen Zeit habe ich ihm dann auf Befehl von oben, die Grundlagen des Gießens, Retuschierens, Malens und Kopierens gezeigt. Also, er war ein angelernter Laie, hat nie Abformungen an Patienten gemacht. Und er war besonders auch für die Pflege und den Erhalt der Sammlung verantwortlich. Und dieser Mann hat sich dann später als Großer der Zunft und als Nachfahre ausgegeben. Er hat 1990 die Gunst der Stunde genutzt und sich selbständig gemachtals Mouleur, mit Sachen die nicht seine sind, die er aber als seine ausgibt. Er hat Formen mitgenommen, und er hat auch abgekupfert. Also, er sagt, er hat das und jenes ›gemacht‹, das z. B.«, sie deutet auf eine Abbildung im Katalog. »Und diese hier habe ich in Ingoldstadt gesehen, in der Ausstelllung von Frau Prof. Habrich, der Leiterin des Medizinhistorischen Museums, mit der Unterschrift versehen: von G. Siemiatkowski. Er hatte es dorthin verkauft und wohl nicht damit gerechnet, daß jemand was bemerkt, daß es noch eine Kartei gibt, oder daß ich sie sehen werde und weiß, die hab’ ich dann und dann gemacht, bei Dr. Sowieso, von dem und dem Patienten. Das ist doch unerhört?! Aber ich konnte nichts machen, ich bin ja nicht die Eigentümerin, habe es aber natürlich gemeldet im DHM . Da kam aber nichts. So, jetzt habe ich ihnen ja eine ganze Menge erzählt, fast mein ganzes Arbeitsleben.« Sie lacht sarkastisch.
    Wir bitten darum, noch in aller Kürze von Kindheit und Jugend zu berichten. »Als Kind habe ich immer was gebastelt. Mit Ausdauer. Meine Mutter hat gesagt, wo du bist, da ist Dreck. Mein Vater war Schmied und nach der Arbeitslosigkeit dann als Maschinist in der Gardinen- und Spitzenmanufaktur in Dresden, meine Mutter hat Heimarbeit gemacht, Schürzen genäht. 1938 machte ich Abitur. Das war ein Höhepunkt, wir wurden vom BDM überwiesen in die Partei. Man hätte, wenn man politisch schon reif gewesen wäre, nein sagen können. Aber ich wollte ja Lehrerin werden. 1941 habe ich dann eine Lehrerinnenstelle in Ostpreußen bekommen, in Goldap, an der polnisch-litauischen Grenze. Die Lehrer waren alle eingezogen worden. Dort habe ich dann den Kriegsanfang mit Rußland erlebt, den Einmarsch der Truppen. Der Ort wurde geräumt, alle flohen. Auch ich, zusammen mit einer Kollegin. Als wir wieder in Dresden waren und uns meldeten, sagte die Schulbehörde, wir lügen, in Ostpreußen ist kein einziger Ort geräumt. Wenn wir nicht sofort zurückfahren und uns in Gumpingen melden, droht ein Dienststrafverfahren. Wir fuhren über Berlin. Vom Osten her kamen die Flüchtlingsströme rein in den Bahnhof, und wir fuhren auf dem anderen Gleis in Gegenrichtung. 1944. In Königsberg angekommen, war gerade Luftangriff. Königsberg brannte, der Bahnhof war voll mit Flüchtlingen. In Gumpingen saß tatsächlich noch der Regierungsschulrat. Das Militär ratterte. Weil unser Schulort ja geräumt war, wurden wir versetzt. Ich kam an einen kleinen Ort namens Texeln, später verlief durch ihn die Grenze zwischen Polen und Rußland. Dort habe ich als einzige Lehrerin

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