Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
Verschlüsselung, in die Herstellung der Statistik. Dabei sollen wir uns ›intensiv‹ um die Arbeitslosen kümmern, Fakt ist aber das reinste Chaos in den Jobcentern bundesweit. Gedränge, Schlangen, lange Wartezeiten, überlastete und genervte Sachbearbeiter, verschwundene Akten und Unterlagen, kaum Auskunft, dauernd besetzte Telefonleitungen.
Es gibt sog. Taktzeiten. In den ›Kundenzentren‹, in die bis Ende 2005 alle Arbeitsagenturen verwandelt werden – sieht dann aus wie bei den Banken –, sind nur noch drei Minuten vorgesehen, in denen der Kunde abgefertigt sein muß. Für Antragsteller gibt es noch 15 bis 30 Minuten, für den Erstantrag, für 16 Seiten. Wenn’s absehbar ist, er braucht länger, dann nach Haus schicken mit Merkzettel über das, was fehlt, und: ›Der Nächste bitte! »Aller Druck, alles, was die Behörde grundsätzlich nicht fähig ist zu leisten, wird gnadenlos auf den Kunden abgewälzt Und es entsteht auch dadurch so eine brutale Überheblichkeit, die in den internen Gesprächen über die Kunden immer wieder zum Vorschein kommt: ›Keiner von denen will in Wirklichkeit arbeiten, die wollen nur die Kohle, alles notorische Arbeitsverweigerer, ja wissen denn die Arschlöcher immer noch nicht, daß jede Arbeit zumutbar ist? Bei mir haben die nichts zu lachen, da heißt es fordern!‹ Das ist so der Tenor, und, leider muß ich das sagen, sind dabei die Frauen die Schlimmeren, zu 80 Prozent bestimmt. Aber es gibt eben auch die andere Seite, die Kritischen, aber das werden immer weniger nach dem ersten Schreck über den völligen Umbau der Bundesanstalt. Es ist einfach nicht zu übersehen, was los ist, was vor sich geht. Das ganze ist ja von Wirtschaftsleuten nach wirtschaftlichen Kriterien kreiert worden, es soll unternehmerisch gedacht und gehandelt werden, marktorientiert. Der Bismarcksche Sozialversicherungsstaat wird in einen Almosenstaat verwandelt, die sozialversicherten Arbeitslosen in ein Heer von Almosenempfängern und billigen Dienstleistungssklaven. Die können ja keinen ›sozialen Frieden‹ mehr gefährden.
Und was uns, die BA betrifft, unser Unternehmensauftrag ist offiziell Arbeitsvermittlung. Aber nicht die Vermittlung von Arbeit ist das eigentlich Unternehmens-Ziel. Das eigentliche Unternehmensziel ist der Selbsterhalt der Behörde – wie überall –, wenn möglich die Vergrößerung der Behörde durch bürokratische Mastkuren. Denn eigentlich macht sie primär eins: Sie produziert Statistik. Ihr Auftrag ist, eine positive Statistik zu produzieren. Und so wird sie ganz automatisch zu einer Maschinerie des Betrugs und Selbstbetrugs. Mit einem riesigen Apparat an Personal, Material, Geld, Gebäuden, Kunden, Fragebögen, Akten kümmern wir uns energisch um die Verbesserung der Arbeitslosenstatistik. Was ja der reinste Wahnsinn ist, angesichts von inzwischen Millionen von Arbeitslosen. Solche Zahlen hatten wir das letzte Mal 1933, und wir wissen, wozu sie geführt haben. Aber darüber darf nicht gesprochen werden, auch nicht intern, höchstens mal im kleinen Kollegenkreis oder mal privat mit Kolleginnen, das grenzt nämlich an Hochverrat, und deshalb ist das Thema einfach tabu. Es ist doch ein Skandal, daß kein einziger von den entscheidenden Leuten es wagt, sich hinzustellen und zu sagen: Okay, wir ziehen das jetzt rigoros durch, und wir machen das, weil wir es so haben wollen, nicht weil mit Hartz IV Arbeitsplätze entstehen. Basta! Das wagt keiner. Das mit den versprochenen Arbeitsplätzen ist natürlich eine Illusion. Es gibt keine Arbeitsplätze, und es wird auch keine geben. Nie mehr! Keiner kennt dieses Dilemma besser als die Behörde.«
6 International tätiger Unternehmensberater
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KAHLES TISCHCHEN
SOZIALANWÄLTIN
»Geld allein macht nicht glücklich. Es gehören auch Aktien, Beteiligungen, Gold und Grundstücke dazu.«
D. Kayl
Unbeteiligte Außenstehende glauben vielleicht noch, daß es nur um mehr oder weniger Geld geht, mit dem manche auskommen müssen. Es ist aber nicht nur die Verarmung erdrückend für die Betroffenen, sondern auch ihre Entmündigung und amtliche Bevormundung durch Anordnung, Sanktion und Kontrolle. Hartz IV greift ganz direkt und einschneidend in die Lebensgestaltung und privaten Angelegenheiten von all jenen ein, die von der Massenarbeitslosigkeit ausgesondert wurden bzw. betroffen sind. Millionen beziehen Arbeitslosen- und Sozialgeld. Etwa 14 Millionen noch nicht erfaßte Deutsche leben unter einem bedrohlich sich
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