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Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Titel: Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Goettle
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Hartz-IV-Empfängerinnen, das stimmt, aber der ganze Bereich ist sehr teuer, weil man ausgesprochen viel Wasser braucht, Strom, Heizung. Im Baderaum sind immer 32 bis 35 Grad, das kostet. Es ist halt in der gesamten Schoko so, das sollte ja nicht kommerziell genutzt werden ursprünglich, alles war Teil des Hauses und für die Frauen selbst gedacht. Die Sportetage war anfangs auch nur zum Einüben der Selbstverteidigung für die Frauen hier, aber dann haben sie sich eben langsam zu Unternehmerinnen entwickelt.«
    Wir möchten wissen, weshalb sie Elektrikerin wurde. Lachend sagt sie: »Ich hatte eigentlich nie vor, Elektrikerin zu werden. Am besten, ich erzähl mal von vorne: Ich habe eine ›Ausbildung zur Bäuerin‹ gemacht ursprünglich. Das haben sich die Bäuerinnen mal richtiggehend erkämpft, denn vorher waren sie ja nur die Frau von Bauern. Also, ich komme nicht vom Land, wir hatten keinen Hof. Mein Vater war Bergmann, meine Mutter Hausfrau. Wir wohnten in einer Bergarbeitersiedlung. Ich ging aufs Gymnasium, weil ja damals auch Arbeiterkinder aufs Gymnasium konnten, heute eher nicht mehr so. Und mir war bald klar, ich will nicht studieren. Dann habe ich abgebrochen und wollte Gärtnerin werden, hab’ auch ein Praktikum gemacht, aber der Chef hat gesagt, wir nehmen keine Frauen, denn Frauen werden schwanger, und sie können keine Schubkarren fahren. Bei einer Klassenfahrt in den Schwarzwald hatte ich mal gehört, daß es ›Dorfhelferinnen‹ gibt, ausgebildete Bäuerinnen, die, wenn die Bauersfrau krank ist oder verstirbt, da professionell aushelfen. Da dachte ich, das mache ich, und habe mir bei der Landwirtschaftskammer eine Liste geholt und mich beworben.
    Gleichzeitig hatte ich mich beworben um eine Stelle als Au- pair-Mädchen in Frankreich. Die bekam ich auch, und da habe ich es bei der Landwirtschaftskammer durchgesetzt, daß mir das anerkannt wird als erstes Ausbildungsjahr. Ich hatte gesagt, ich will eine Familie auf dem Land. Ich bin dann holterdipolter innerhalb kürzester Zeit hingefahren, kam mit meinen Jeans und mit meinem Flanellhemd abends auf dem Bahnhof an in La Rochelle und wurde von einer sehr eleganten Dame mit zwei kleinen Jungen in Matrosenanzügen abgeholt. Wir fuhren dann in die Villa der Schwiegereltern. Das war die Familie Godet, die sind berühmt in Frankreich, weil sie zu den ältesten Cognac-Herstellern gehören, ich glaube 1780 haben sie damit angefangen, in der Charante Maritime. Na, da war ich gelandet und sollte also nun gleich den Kinder die Crevetten auf ihren Tellern herrichten zum Essen. Ich hatte bis dahin noch nie im Leben Crevetten gesehen und habe gerätselt, was man nun damit macht. Ich war vollkommen irritiert; ich kannte so eine Welt bis dahin überhaupt nicht, wußte nicht mal, daß so was existiert. Sie haben mir dann aber alles gezeigt und waren sehr nett. Ich mußte nicht putzen, nicht waschen, nicht kochen wie die anderen Au-pair-Mädchen, sie hatten Personal. Ich mußte mich nur um die Kinder kümmern, Madame Bodet war wieder schwanger. Französisch konnte ich ja so einigermaßen. Dort blieb ich also ein Jahr lang.
    Als ich zurückkam, da war das mit der nächsten Stelle ja schon ausgemacht. Die war auf einem Hühnerhof, ganz konventionell modern, mit Legebatterie und so. Das war der Horror, aber ich habe natürlich eine Menge gelernt, im Garten, das Kochen, den Haushalt organisieren. Aber ich mußte auch mitschlachten. Also, auf dem Bauernhof gibt es eine ganz rigorose geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Ich war völlig geplättet. Es gibt bestimmte Arbeiten, die macht der Bauer. Kopf abhacken war ganz klar seine Sache. Dann mußte ich das übernehmen, den zappelnden Rest. Rupfen, dann halt hinten aufschneiden und … Ich kann mich noch erinnern, wie ich das erste Mal in so ein Huhn reingreifen sollte, die sind ja noch sehr warm von der Todesangst, ich hatte richtig Beklemmung. Ich habe mich nie richtig daran gewöhnen können. Dann gab’s so ein Rollband, wo die Eier sortiert wurden, nach den Größen. Also, Eier sortieren, das ist auch Frauenarbeit. Mal war die Oma krank, und die Frau konnte auch nicht, da mußte die Tochter anreisen, denn der Bauer hat sich geweigert, das zu übernehmen. Was sonst noch sehr auffiel, war die Sprachlosigkeit in der Familie, auch beim Essen. Das kannte ich von zu Hause gar nicht, und auch in La Rochelle war’s natürlich vollkommen anders. Nee, die waren stumm, der Bauer hatte seine rechte Nationalzeitung immer da

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