Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
liegen. Da war ich ein Jahr, und ich mußte auch immer zu Berufswettkämpfen. Man muß kochen, den Tisch richtig nach Vorschrift decken, Kräuter bestimmen, irgendwas nähen oder sticken, währenddessen draußen die Jungbauern sich beim Wettpflügen präsentiert haben. Das ging mir schon sehr gegen den Strich! Ich habe eine gefüllte Tomate gekocht, in der innen was stocken mußte. Ich habe sogar einen Preis gemacht und irgendein Buch bekommen.
Als nächstes war ich dann auf einem kleinen Milchviehof, 45 Kühe so etwa, da war’s total nett, aber im Prinzip nicht anders, wo der Altbauer auch gefunden hat, ich darf nicht auf dem Trecker fahren. Als ich kam, hatte meine Chefin grade einen Nervenzusammenbruch hinter sich. Sie haben immer gesagt, sie soll sich mal nicht so anstellen. Das wird ja nicht als ernsthafte Erkrankung betrachtet. Aber sie haben schon irgendwie gesehen, daß wenn die Bäuerin ausfällt, daß dann nicht nur der bäuerliche Haushalt, sondern das ganze Unternehmen zusammenfällt. Und zwar mehr als nötig, auch aus Trotz. Die Rolle der Bäuerin ist einfach die, daß sie, wenn Not am Mann ist, alles können und alles machen muß, das ist ganz selbstverständlich. Umgekehrt für den Mann gilt das überhaupt nicht. Das ist natürlich alles gar nicht richtig definiert, das sagt keiner, das steht nirgends, aber es ist ein eisernes Gesetz. Also, Garten, Küche, Haushalt, klar, ist Frauensache. Melken, der ist ja auch irgendwie technisch so ein Melkstand, das ist Männersache. Kälberaufzucht ist Frauensache wieder usw. Es gab so ein Wirtschaftszimmer, da waren immer Berge von Bügelwäsche – ich hab seither nicht mehr gebügelt –, das war der Wahnsinn! Der Sohn war bei der Bank und brauchte jeden Tag ein frisches Hemd, die Schwiegertochter war Apothekenhelferin und brauchte ihren gestärkten weißen Kittel. Da habe ich oft stundenlang gebügelt, die Bäuerin saß an der Maschine und hat was genäht; da haben wir uns viel unterhalten, sie hat mir eine Menge erzählt.
Da war ich also auch ein Jahr, dann war ich durch und habe meinen Gesellenbrief bekommen: Hauswirtschafterin im ländlichen Bereich. Nachdem ich nun das alles gesehen und erlebt hatte, war mir klar, daß ich in diesem Beruf nicht bleiben wollte!
Ich hatte gehört, im Hunsrück gibt es ein Kleinstheim für geistig behinderte Erwachsene, die zusammen mit Betreuern auf einem Bauernhof leben und arbeiten. Das interessierte mich. Aber dafür war eine heilpädagogische Ausbildung die Voraussetzung. Also hab ich mich umgeschaut nach einer Fachschule, die kosteten damals alle Geld, aber Geld hatte ich ja von zu Hause nicht. Ich hab dann eine Möglichkeit gefunden, im St. Vincenz-stift in Aulhausen, das liegt bei Rüdesheim. Es war ein Verwahrheim für etwa 350 geistig Behinderte. Und die hatten eine integrierte Schule, also, man bekam etwas weniger bezahlt, hatte dafür aber die schulische Ausbildung umsonst. Da habe ich dann meine nächsten drei Jahre verbracht, habe aber nicht im Heim gewohnt, sondern privat in einer Wohngemeinschaft. Inzwischen war ich so 23 Jahre, und ich fand das keine verlorene Zeit, sondern ganz logisch, immer weiter zu lernen. Ich hatte eine Jungsgruppe, es war ja nach Geschlechtern getrennt, ein katholisches Haus, sehr prüde, mit einem Direktor, der auch unterrichtet hat. Sonderpädagogik. Der war ein klarer Verfechter der Großverwahranstalten, nach dem alten Prinzip auch noch. Ich hatte ja inzwischen auch von der Antipsychiatriebewegung erfahren und mich damit beschäftigt. Und ich bin dann viel mit den Jungs rausgegangen, statt zu basteln oder so was. Ich hasse Basteln! Ich hatte auch keine Angst davor, wenn einer mal ausgerastet ist, ich bin gut mit denen klargekommen; die meisten konnten einigermaßen reden, hatten aber natürlich ihre Verhaltensstörungen. Ich mußte lernen, mich in diese Welt nun reinzuversetzen, in deren Welt. Das hat mich richtiggehend geprägt für mein weiteres Leben, daß ich gelernt habe zu gucken, was meint jemand eigentlich, was will jemand, auch wenn er’s nicht sagt, also mich da reinzudenken in andere. Die Jungs waren so zwischen acht und sechzehn, ich hab’ öfters welche mit nach Hause genommen, damit sie auch mal andere Leute und Leben kennenlernen. Dort war ich also drei Jahre, das war die Ausbildung zum Heilerziehungspfleger, damals war das was ziemlich Fortschrittliches.
Und inzwischen ist es … 1988, IWF-Vorbereitung in Bremen, da lernte ich Frauen kennen, auch aus
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