Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
man eine Lampenfassung repariert oder eine Bohrmaschine benutzt. Dreh- und Angelpunkt ist die Bohrmaschine. Jeder Haushalt hat anscheinend eine, aber keine der Frauen hatte sie je in der Hand.
Die Kurse mach’ ich immer im Frühjahr und im Herbst, an den Wochenenden. Früher habe ich das bei ›Autofeminista‹ gemacht, die hatten ja eine Werkstatt, sogar mit Hebebühne und allem, aber das gibt’s so nicht mehr. Der Bedarf war total zusammengebrochen. Das lag einerseits an dem neuen Selbstverständnis der Frauen, sie haben nicht mehr das Interesse, lassen lieber den Fachmann das machen – selbst beim Motorrad und Fahrrad –, andererseits lags aber auch an den neuen Autos mit ihrer komplizierten Technik, da ist das einfach auch viel schwieriger mit dem Schrauben. Aber Haushaltsreparatur wird weiterhin wie wild nachgefragt. Und dann arbeite ich Freitag oder auch Mittwoch manchmal selbständig in meinem Ein-Personen-Gewerbe ›Crassa Minerva‹. Also, das heißt aus dem Lateinischen übersetzt soviel wie ›mit derbem Hausverstand‹, und damit bin ich dann eben als Reparaturhandwerkerin unterwegs. Diese Kombination gefällt mir ausgezeichnet, ich bin sehr gern Hausmeisterin, und als Hausmeisterin bin ich eigentlich optimal, weil ich ja auch diese soziale Komponente mitbringe. Gleichzeitig bin ich auch Aufsichtsrätin der Genossenschaft und kehre den Hof.
Jetzt sind wir also in der Gegenwart angekommen, nun soll ich auch noch was über meine Herkunft erzählen? Na gut, was soll ich sagen, unser Haushalt war wild und laut. Meine Mama war die klassische Hausfrau, eine ganz überzeugte, die damit auch glücklich war. Für uns Kinder war das echt total super. Meine Eltern sind beide sehr katholisch, und dementsprechend war die Rollenteilung ganz erzkonservativ. Mein Vater war im Bergwerk als Bergmann, hat Steinkohle gefördert. Er hat es gehaßt! Ich komme aus einer Ecke, da kommst du als normaler Junge automatisch ins Bergwerk. Auch mein Opa war Bergmann und die Onkels. Die fuhren alle schon mit vierzehn als Pimpfe unter Tage und haben die Flöze vorantreiben müssen, weil sie so schön klein noch waren. Mein Vater war der einzige Versorger, er mußte einfach. Er hat Schichtarbeit gemacht. Früh-, Spät- und Nachtschicht, im wochenweisen Wechsel. Und das hieß, ganz oft muß der Papa am Tag schlafen, und die Kinder dürfen keinen Lärm machen. Das klappte natürlich überhaupt nicht, und er hatte dauernd seine gefürchteten schrecklichen Wutanfälle.
Wir hatten nur ein kleines Haus. Damals, 1967, da gab es Programme für kinderreiche Familien, mit denen man ihnen ein Eigenheim ermöglicht hat, mit günstigen Krediten und so. Da wurde dann eine Siedlung gebaut, eine Modellsiedlung, die Häuser hatten Flachdächer. Schrecklich! Weil es immer durchgeregnet hat. Also, ein viereckiges Haus mit Flachdach und Garten, daneben dasselbe und auch an der Rückseite versetzt. Es gab drei Stichstraßen und zwischen den Häusern nur Gehwege. Wir bekamen also so ein Haus mit drei Kinderzimmern, einem Elternschlafzimmer und einem offenen Wohnküchenbereich. Hochmodern. Aber meine Mutter fand das ganz furchtbar, sie wollte ihre Ruhe haben zum Kochen. Die Zimmer waren miniklein und superhellhörig. Das gab natürlich immer Streß für meinen Bruder und meine beiden jüngeren Schwestern. Meine Eltern sind Jahrgang ’37/’38, und sie haben sich eigentlich schon sehr viel Gedanken darüber gemacht, wie sie uns erziehen. Sie sind zwar sehr vom Katholizismus geprägt – also, meinen Eltern hat es mehr ausgemacht, daß ich aus der Kirche ausgetreten bin, als daß ich lesbisch bin. Sie sind superkonservativ. Mein Vater ist vom Prinzip her gegen Ausländer, hat aber einen guten Nachbarschaftskontakt zu einem Jugoslawen. Also, sie sind einerseits so, und andererseits sind sie sehr authentisch, also gradezu widersprüchlich. Als ich mit meiner ersten Freundin nach Hause kam, war ja die Frage, wo schlafen wir denn. Und mein Vater sagte: Ach, die packen wir doch zusammen in ein Bett. Kein Problem. Zugleich ist seine Einstellung eine ganz andere. Aber der Familienzusammenhalt ist wichtiger als alles andere.
Eines Tages hat mein Vater eine betriebsinterne Schulung zum Sanitäter gemacht, es gab Familienrat, ob er über Tage für weniger Geld als Sanitäter arbeiten kann, und weil damals grade Tante Anna bei uns war und gepflegt wurde, wodurch ein bißchen Kostgeld dazukam, hat er’s dann gemacht und ist übertage richtiggehend aufgeblüht.
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