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Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Titel: Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Goettle
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Repräsentationsbedürfnis des Bürgers allerdings hat das Bestattungsgewerbe Besonderes im Angebot: das Pressen der Totenasche zu einem Diamanten. Lupenrein gelangt so der teure Gatte an den Ringfinger der Witwe. Es gibt die DNS des Verstorbenen im Schmuckkästchen für zu Hause. Man kann auf »Internetfriedhöfen« virtuelle Locken, Bilder und Geschichten des Toten präsentieren. Die Asche läßt sich in den Weltraum schießen oder in der Sahara verstreuen. Alltag sind aber die anonymen Urnen, die unentwegt in die grösser werdenden Rasenflächen unserer Friedhöfe gesenkt werden, damit schnell Gras über die Sache wachse.
    Es scheint so, als müssten neue Rituale gefunden werden, in denen sich die Gesellschaft wieder auf den Tod beziehen kann. Durch die Erfahrung mit Aids kam in den 80er und 90er Jahren eine neue Trauerkultur auf, die sich auch außerhalb der Homosexuellenszene allmählich durchsetzte. Claudia Marschner war die erste Bestatterin in Deutschland, die ein neues Konzept entwickelt und gewagt hat. Inzwischen findet sich viel davon in der Angebotspalette der konventionellen Bestatter wieder.
    Ihr Bestattungsinstitut liegt in Kreuzberg, in U-Bahnnähe, nicht weit vom Mehringdamm. Hier herrscht noch normales Kiezleben, mit kleinen Kneipen und Geschäften ringsum. In den Höfen spielen Theatergruppen, arbeiten Künstler. Auf den Hauswänden der renovierten alten Mietshäuser ziehen sich die Schriftzeichen der männlichen Jugend hin, nur am Bestattungsgeschäft scheint es einigen die Hand angehalten zu haben. Tür und Schaufensterrahmen sind makellos weiß. Der Blick ins Innere ist erwünscht und unverhüllt. Zu sehen sind drei Särge, einer davon ist bunt bemalt.
    Als wir eintreten, erhebt sich ein kleiner schwarzer Hund, dehnt und streckt sich in der warmen Nachmittagssonne und betrachtet uns mit freundlicher Zurückhaltung. Die Herrin telefoniert nebenan, und wir sehen uns im Ausstellungsraum um. Die linke Seite des Raumes ist bemalt, zeigt eine »Landschaft der Erinnerung«. Durch helles Himmelblau mit Kumuluswolken schweben kleine Szenerien: Ein sich umarmendes Paar von hinten ist zu sehen, eine Buddha-Figur. Ein Mensch liegt in einer Hängematte, eine Frau springt mit ihrem Hund davon, ein Stück Meer und Palmenstrand lugen hervor, auf dem Meer fährt ein Mann auf einem Surfbrett dahin. Direkt am Schaufenster steht der bunte Sarg. Er hat eine konventionelle Form und wurde offenbar von Kindern in kräftigen Farben bemalt. Zu erkennen sind ein blaues Gespenst auf grünem Untergrund, ein rotes Herz mit gekreuzten Knochen, Fische, Vögel, Blumen und etwas, das wie ein Totenkopf aussieht. Auf dem Sargdeckel steht, umringt von kleinen mexikanischen Totenköpfen aus Zuckerguß, eine stählerne klassische Urne, gekrönt von dem Wort »Karma« in blauer Neonleuchtschrift. Die Mitte des Raumes nimmt ein feierlich schöner Sarg ein, er hat einen flachen Deckel und abgerundete Ecken und lange Messinggriffstangen an jeder Seite. Sein Holz ist matt poliert und schimmert goldfarben. Auf dem Deckel steht eine Urne mit dem Aussehen einer angeschnittenen Wassermelone. Eine weitere Urne ruht auf dem Kopfteil des Sarges, eingehüllt in ein aufgeplustertes rotes Plüschherz. Auf dem dritten Sarg, der dunkelbraun und konventionell ist, stehen mehrere, teils bemalte, runde Urnen. Hier, und auch nebenan im Beratungszimmer, ist alles hell und lichtdurchflutet, es gibt keine Kreuze, keine betenden Hände, keine Palmwedel.
    Wir nehmen an einem schlichten Tisch aus hellem Holz Platz, betrachten das Skelett, das mit gezückter Lanze auf einem Pferdeskelett galoppiert, zu Füßen hat es ein naiv gemachtes Pappmachéskelett sitzen. »Das ist eine Leihgabe«, erklärt Frau Marschner, »die stammt noch von einem mexikanischen Totenfest.« Sie zündet sich eine Gauloise an, schiebt das Körbchen mit den Tempo-Taschentuchpäckchen für die Tränen der Trauernden etwas zur Seite, während der kleine Hund sich auf dem Parkettboden wohlig ausstreckt.
    Auf die Frage, ob sie Angst hat vor dem Tod, sagt sie: »Ja natürlich, klar habe ich Angst vor dem Tod, vor diesem Moment, irgendwann, wo es dann – zsss –, und das war der letzte Atemzug.
    Jetzt bin ich 39. Früher war ich gern auch ein Enfant terrible. Ich habe ja mit 26 hier begonnen, und damals war ich so weit, wie man in dem Alter ist. Mittlerweile bin ich da reingewachsen und sehe das sehr klar, wie schlimm das ist, daß die Gesellschaft nichts über den Tod weiß und auch nichts

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