Der Augenjäger / Psychothriller
falsch.
Ich sah, wie
die Unterlage
sich bewegte. Die blaue Plane war eine Luftmatratze, der kleine Kasten ein Generator, der langsam, aber stetig Luft in die Kammern pumpte.
»Ein aufblasbares Gästebett«, erklärte Suker mit stolzem Lächeln. »Ein Meter sechzig mal zwei; gab’s für neunundneunzig Euro im Teleshop. Natürlich nicht zu vergleichen mit einem regulären Operationstisch, aber der wäre einfach zu schwer für die zerbrechlichen Spiegelplatten hier unten.«
Die Matratze füllte sich gleichmäßig, Alina schwebte jetzt schon vier Zentimeter über dem Erdboden.
»Kaum zu glauben, das Ding erreicht eine Höhe von einem Meter in nur neunzig Sekunden. Aber keine Sorge, ich habe Ihrer Freundin ein kleines Beruhigungsmittel gespritzt, damit sie keine hektischen Bewegungen macht und uns am Ende noch herunterfällt.«
Er wedelte mit einer Rolle Paketklebeband, die irgendwie in seine Hand gelangt war. Trotz der vielen Spiegel war mir der Pilotenkoffer zu seinen Füßen bisher nicht aufgefallen, aus dem er nach und nach seine Utensilien zog. Alina, die Matratze, die Waffe in meiner Hand, nicht zu vergessen die hämmernden Schmerzen hinter meinen Augen zehrten an meiner Aufnahmefähigkeit.
Augenscheinlich hatte ich auch einige Aussetzer. Ich dachte, ich hätte nur einen Moment geblinzelt, aber als ich die Augen wieder öffnete, hatte Suker Alina bereits mit zwei Lagen Paketklebeband an die Matratze gefesselt.
»Reine Vorsichtsmaßnahme. Man kann ja nie wissen, was passiert, wenn es gleich losgeht.«
»Hören Sie auf damit!«, forderte ich. »Was immer Sie auch vorhaben. Sofort!«
Suker drehte sich zu mir. »Sagte ich nicht, Sie sollen vorsichtig mit der Waffe sein, Herr Zorbach?«
»Binden Sie sie los.«
»Oh nein. Das werde ich ganz bestimmt nicht.«
Mit federnden Schritten ging er zu der klinkenlosen Tür und drückte sie ins Schloss. Seine Handschuhe quietschen obszön auf der glatten Spiegeloberfläche.
»Ich zähle bis drei«, drohte ich. »Wenn Sie Alina bis dahin nicht losgebunden haben, jage ich Ihnen die Kugel durch den Kopf.«
»Und haben was genau erreicht?«
Suker deutete auf Alina, die leise stöhnte. Die Wirkung des Sedativums schien nachzulassen.
»Treffen Sie keine Entscheidung, bevor Sie nicht alle Fakten kennen.«
Er zeigte mir die rechte Faust, deren Daumen abgespreizt war. »Fakt Nummer eins: Wenn ich sterbe, werden Sie es auch tun. Niemand weiß, dass Sie hier sind. Niemand wird nach Ihnen suchen, und nur ich kenne den Code, mit dem Sie hier wieder rauskommen.«
Sein Zeigefinger schnellte nach oben. »Fakt Nummer zwei: Wenn ich sterbe, dann stirbt mit mir die Wahrheit über das, was Ihre Freundin mit dem Tod Ihres Sohnes zu tun hatte. Und Fakt Nummer drei«, er spreizte einen dritten Finger ab, »wenn ich sterbe, dann haben Sie keine Kugel mehr für Alina übrig.«
»Wieso sollte ich die brauchen?«, fragte ich und begann zu zittern. Lange würde ich die Waffe nicht mehr ruhig halten können.
»Sie wollen wissen, was sie getan hat?«
Suker ging zu der Matratze, die jetzt vollständig aufgepumpt war, und riss Alina den Klebestreifen vom Mund.
»Ich finde, das sollte sie Ihnen selbst erzählen.«
61. Kapitel
T u es nicht«, waren ihre ersten Worte. Alinas Stimme klang belegt, wie nach einem Zahnarztbesuch, wenn die Betäubung noch andauert. »Du darfst ihn nicht erschießen.«
Ich hielt weiterhin die Waffe auf Suker gerichtet, der sich daran nach wie vor überhaupt nicht zu stören schien.
»Mach dir keine Sorgen, Alina. Ich bringe uns schon irgendwie hier raus.«
»Darum geht es nicht, Alex. Du darfst ihn nicht umbringen. Er weiß, wo Julian ist.«
Suker, der bislang mehr oder weniger belustigt unseren Wortwechsel verfolgt hatte, lachte auf.
»Ah, Ihre medialen Fähigkeiten, Frau Gregoriev. Sie glauben immer noch daran, während der Shiatsu-Behandlung etwas über mich erfahren zu haben?«
Alina ignorierte ihn. »Es ist kein Zufall, dass wir hier sind, Alex. Du darfst ihn nicht töten, sonst nimmt er sein Wissen mit ins Grab.«
Suker und seine unzähligen Ebenbilder nickten zustimmend. Langsam wurde mir die Perversität seines Spiegelzimmers im ganzen Ausmaß deutlich. Es potenzierte die Qualen; steigerte die Angst seiner Opfer in eben die Unendlichkeit, in der die Spiegelbilder verliefen.
»Auch wenn ich, ehrlich gesagt, nicht ganz verstehe, worauf Ihre Freundin hinauswill«, sagte er, »so kann ich ihr im Endergebnis nur zustimmen. Es wäre besser, Sie würden
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