Der Augenjäger / Psychothriller
es.«
Genauer gesagt, hoffte ich es. Meine Selbstsicherheit war wie die Waffe in meiner Hand: ein einziger Bluff.
Vor einigen Jahren hatte es bei einer von Niccis Katzen Probleme während der Zahnsteinbehandlung gegeben. Der Tierarzt hatte ihr ein Antidot gespritzt, das das Tier ins Bewusstsein zurückholte und die Atmung wieder einsetzen ließ.
»Okay, okay. Ich kann ihm etwas geben.« Der Arzt schluckte sichtbar.
Bei dem fährt der Adamsapfel Fahrstuhl,
hatte Frank einmal über unseren Herausgeber gesagt. Damals hatte ich über die treffende Beschreibung gelacht, so wie über seine Bemerkung, die lange Gina aus der Kulturredaktion könne aus der Regenrinne saufen.
Wie hatte ich nur so blind sein können? Wie hatte ich denken können, sein respektloser Humor würde uns verbinden, dabei war auch das nur Teil seiner Maskerade gewesen.
»Aber das ergibt keinen Sinn«, sagte der Arzt, nun ebenfalls immer erregter. Er blinzelte unbewusst im Takt der Beatmungsmaschine.
»Das lassen Sie mal meine Sorge sein.«
»So verstehen Sie doch.« Der Arzt wollte keine Ruhe geben, aber immerhin hatte er schon eine Spritze in der Hand, mit dem richtigen Medikament, wie ich hoffte.
»Sein Körper hält das nicht durch. Der Schock und der darauf einsetzende Kreislaufkollaps würden Herrn Lahmann umbringen.«
Nenn ihn nicht Herrn Lahmann. Nenn ihn bei seinem richtigen Namen. Nenn ihn Mörder.
Hinter mir hörte ich gedämpfte Stimmen, ein Telefon klingelte. Ich drehte mich um und fand meine Vermutung bestätigt. Die Ärzte hatten den OP verlassen, und noch traute sich das Sondereinsatzkommando nicht herein, das von Stoya informiert worden war und vermutlich gerade die Optionen abwägte.
»Wie lange?«, fragte ich den Arzt, der gerade die Spritze in einen der Schläuche drückte und mich ein letztes Mal fragend ansah.
»Das geht rasch. Wenn er zu sich kommt, dann in wenigen Sekunden.«
»Ich meine, wie lange habe ich dann, um mit ihm zu reden?«
»Eine Minute? Wenn überhaupt.«
Ich sah zu den Flügeltüren des Operationssaals, hinter denen es still geworden war.
Kein gutes Zeichen.
»Also gut.«
Ich presste dem Narkosesarzt die Waffe direkt auf die schweißglänzende Stirn und deutete mit dem Kinn auf die Spritze in seiner Hand.
»Rein damit.«
68. Kapitel
I ch wollte das nicht.
Ich wollte nicht an meine Mutter erinnert werden.
Auch sie lag, nicht weit von hier entfernt, in einem Sanatorium auf einer druckentlastenden Matratze, das Gesicht unter einer Atemmaske versteckt, mit mehr Schläuchen im Körper, als Kabel in einen Fernseher passen.
Bis zu dem Schlaganfall, der ihr Gehirn auf die Leistungsfähigkeit einer Schüssel Grießbrei reduzierte, war meine Mutter in einem fremden Leben gefangen gewesen. Nicht in ihrem eigenen, sondern in dem unserer Familie, dem sie sich unterordnete. Ihre Liebe galt den Bergen, und dennoch war sie immer ans Meer gefahren, weil es »ihren Männern« dort besser gefiel. Dank exzellenter Prüfungsergebnisse hätte sie in den diplomatischen Dienst eintreten, in Privatjets die Welt bereisen und mit den Mächtigen zu Tisch sitzen können, stattdessen fuhr sie mich und meine Freunde in einem klapprigen Kombi ins Zeltlager. Und statt in der Presse auf ihren eigenen Namen zu stoßen, durchstöberte sie die Supermarktbeilagen der Zeitungen nach Sonderangeboten. In ihrer Welt gab es kein »Ich«, einzig ein »Wir«. So war es für sie nur logisch gewesen, allen die Diagnose ihrer seltenen Blutkrankheit zu verschweigen, damit mein Vater und ich uns nicht sorgten, während wir uns mit dem beschäftigten, was man landläufig als Karriere bezeichnet.
Und jetzt, da ich mir eingestehen musste, dass all ihre Entbehrungen umsonst gewesen waren, dass sie völlig vergeblich ihr eigenes Leben zurückgestellt hatte und ich trotz ihrer Liebe in jeder Beziehung gescheitert war, in der man nur scheitern konnte, da dachte ich zum ersten Mal seit langem wieder an sie, hier im OP III des Martin-Luther-Krankenhauses, und das fühlte sich falsch an. Es fühlte sich
unfair
an. Wie konnte der Mann, der seinen Wahn wie einen Kanister Unkrautvernichtungsmittel über mein Leben gekippt hatte, mit den gleichen lebenserhaltenden Maßnahmen versorgt werden wie die Frau, die es mir vor sechsunddreißig Jahren unter Schmerzen geschenkt hatte? Am liebsten hätte ich hier und jetzt den Stecker gezogen, allein um diese Ungerechtigkeit zu sühnen. Aber die Nulllinie musste warten. Noch brauchte ich Franks Herzschlag.
»Ist
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