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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Blinden ein Foto zu zeigen. Ihn ungefragt über eine Ampel zu schleifen, zum Beispiel.
    »Wirklich dumm«, sagte die Fremde noch einmal. Alina fragte sich, ob ihr die Marotte bewusst war, nahezu jeden Satz mit einer Wiederholung zu beschließen. Ein weiteres Zeichen ihrer Unsicherheit. Sie hatte Angst, falsch verstanden oder gar nicht gehört zu werden.
    »Aber ich lass Ihnen das Foto trotzdem da, wenn Sie nichts dagegen haben. Meine Adresse steht auf der Rückseite, und vielleicht können Sie ja etwas tun und mich informieren, ob …«
    »Was ist mit Ihrer Tochter?«, unterbrach sie Alina.
    Johanna Strom schneuzte sich, dann sagte sie leise: »Mein Mann Christian und ich, wir leben in Scheidung. Er hat mich verlassen.«
    »Hmm.«
    »Wir hatten eine, wie soll ich sagen, nun, wir hatten eine problematische Ehe. Problematisch, ja. Das trifft es wohl ganz gut. Trifft es gut.«
    »Ich bin keine Psychologin.« Alina glaubte nun, das Missverständnis zu begreifen, dem diese Frau unterlag. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand Physio- mit Psychotherapie verwechselt hätte.
    »Ich behandle Sportunfälle, Verspannungen, Haltungsschäden und so weiter. Natürlich geht es dabei auch um die Seele, aber meine Form der Therapie ist manuell. Ich fürchte, Sie benötigen andere Zuwendung, Frau Strom.«
    »Das weiß ich doch. Weiß ich.« Die Frau räusperte sich. »Aber es geht nicht um mich.«
    Alina öffnete den Klappdeckel ihrer Uhr und tastete nach dem Ziffernblatt. 13.29 Uhr. Ihr erster Patient kam in einer Stunde, und sie musste sich noch ein wenig ausruhen.
    »Es geht um Nicola.«
    »Ihre Tochter?«
    »Ja. Sie ist weg.«
    »Weg, also von zu Hause ausgerissen?«
    »Nein. Nein, das sagen die nur. Sie sagen es. Aber die irren sich.«
    »Wen meinen Sie mit ›die‹?«
    »Meinen Mann. Die Polizei. Einfach alle. Alle.«
    Alina zögerte. Das Vernünftigste wäre gewesen, die Frau zum Gehen aufzufordern. Aber bevor sie nicht wusste, was überhaupt deren Problem war, konnte sie ihr weder helfen noch eine Abfuhr erteilen. Hinzu kam der mitleiderregende Zustand der Frau, die sich schon wieder schneuzte. Alina wäre sich schäbig vorgekommen, ihr einfach die Tür zu weisen.
    »Die Probleme waren groß«, sagte die Fremde. »Besser gesagt,
meine
Probleme waren groß. Sind es vermutlich noch. Deshalb bin ich ja auch in Behandlung. In Behandlung wegen meiner Trunksucht. Tut mir leid, Sie damit zu belästigen. Aber unser Leiter, ich meine unser Sitzungsleiter in Sankt Pfarrenhopp, sagt immer, wir sollen ganz offen damit umgehen. Offen.«
    Aha, daher weht der Wind. Alkoholikerin,
dachte Alina und begriff noch immer nicht, was sie damit zu tun hatte.
    »Obwohl, mein Mann findet es ja nicht so gut. Diese Offenheit, wissen Sie? Er denkt, es schadet seiner Reputation. Reputation, so sagt man doch, nicht wahr? Sagt man das so?«
    Alina zuckte mit den Achseln.
    »Christian ist Anwalt, müssen Sie wissen. Ein guter. Ein sehr guter. Wenn Sie ihn sehen, würden Sie nie … Oh, tut mir leid. Das ist mir peinlich, ich meine, das mit dem Sehen. Das können Sie ja nicht. Tut mir leid, das war unhöflich, nur so dahingesagt, weil ich so aufgeregt bin.«
    »Sie brauchen sich nicht entschuldigen, Frau Strom. Ich würde Ihnen gerne helfen. Aber dazu müssten Sie mir erst einmal sagen, weshalb Sie bei mir sind. Wenn es nämlich um Eheberatung geht, kann ich Ihnen eine gute Adresse empfehlen …«
    »Nein, nein. Sehr freundlich, aber nein. Über den Punkt, also, darüber sind wir hinaus. Ich brauche auch keinen Beistand oder so was, auch wenn ich daran schon gedacht habe. Schließlich hat er Nicola einfach mitgenommen, aber damit hat er gewiss die richtige Entscheidung getroffen, wo er doch Anwalt ist. Ein Anwalt kennt das Recht, oder?«
    »Vermutlich.«
    Ein weiterer Griff zum Handgelenk. 13.33 Uhr.
    »Mit Nicola war es nie leicht. Mit mir ja auch nicht. Sie hat es oft mitbekommen. Meine Ausfälle. Ausfälle, so nannte Christian es immer, wenn ich nicht brav war. Aber er selbst war immer korrekt. Ihr gegenüber, denke ich jedenfalls.«
    Alina beugte sich nach vorne. John hatte ihr erklärt, dass diese Geste einem Gesprächspartner Unruhe und Ungeduld signalisierte. Wenn dem so war, schien Johanna Strom nichts davon zu wissen.
    »Nicola mag ihren Vater sehr. Mich hat sie am Ende nicht mal mehr begrüßt, nicht mal angeschaut, auch beim Essen nicht, wenn ich ihr Lieblingsgericht gekocht hab. Sie aß immer Ravioli mit Wildragout. Gott, was sag ich denn.

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