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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Sie isst natürlich Ravioli. Sie lebt ja noch. Lebt noch.«
    Die mysteriöse Besucherin redete jetzt ohne Punkt und Komma.
    »Eines Tages ist sie nicht mehr nach Hause gekommen. Die Schule rief mich an, weil sie Christian in der Kanzlei nicht erreicht haben. Ich war da. Er ist ja ausgezogen, ich blieb erst mal im Haus. Und ich war nüchtern, zum Glück. Oder zum Pech. Sagt man so, zum Pech? Ist ja auch egal. Vieles ist jetzt egal. Eigentlich alles. Nichts zählt mehr, bis ich endlich weiß, wo sie ist. Bis ich …«
    »Also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist Ihre Tochter von zu Hause weggelaufen, nachdem Sie sich von Ihrem Mann getrennt haben?«, unterbrach Alina. »Das ist sehr traurig, aber ich wüsste wirklich nicht, wie ich Ihnen …«
    »Nein, nein. Sie ist nicht weggelaufen. Sie war gerne bei Papa. Sie liebte seine Wohnung, die Freiheit dort. Sie hatte ein viel größeres Zimmer, ihre Freundinnen konnten dort übernachten, er war da nicht so streng, und, ach … nein. Ich versuche, das noch mal besser zu erklären, Entschuldigung. Dumm, das ist wirklich dumm von mir. Ich fasele, stehle Ihnen die Zeit. Dabei ist alles, was ich sagen will, so einfach. Sehen Sie, Nicola kann nicht weggelaufen sein. Nicht ohne ihr Handy. Sie würde niemals ohne Handy weg, das weiß ich. Das hab ich auch der Polizei gesagt, aber die glauben mir nicht. Niemand glaubt mir.«
    »Glaubt was nicht?«
    »Das mit dem Monster.«
    »Monster?«, echote Alina laut, damit John es im Nachbarzimmer hören konnte. Er hielt sich mit TomTom dezent im Hintergrund, aber sie wusste, er wäre zur Stelle, sollte die Unterhaltung noch wirrer werden und sie womöglich Hilfe benötigen.
    »Ja, ich wusste es von Anfang an. In der Sekunde, in der die Direktorin mich anrief und sagte:
›Frau Strom? Frau Johanna Strom? Es geht um Ihre Tochter.‹
So wie sie ›Tochter‹ betont hatte, wusste ich, dass etwas Schlimmes passiert war. Etwas Schlimmeres als irgendeine pubertäre Aufsässigkeit. Sie war ja auch gar nicht aufsässig. Eher trotzig. Ja, trotzig. Aber sie ist nicht weggelaufen. Und jetzt habe ich den Beweis.«
    »Beweis?«
    »Ich hab Probleme, ja, wollte mich schon umbringen, mehrfach. Deshalb war ich ja da drin in der Anstalt. Das sag ich offen, nicht nur weil der Therapieleiter das empfiehlt. Ich hab nichts zu verbergen, wissen Sie. Daran merken Sie, dass ich nicht lüge. Ich hab das Foto wirklich gesehen. Sie war da drauf, ganz allein. Ich hab sie gesehen. Meine Tochter, sie lag nackt auf diesem Bett, und mit ihr war diese, ähm, diese Angst. Meinen Sie nicht auch, dass eine Mutter die Angst ihres Kindes sehen … Oh, tut mir leid. Schon wieder
sehen.
Das wollte ich nicht.«
    Alina winkte ab. Am liebsten wollte sie ihr sagen, sie könne so viele visuelle Begriffe benutzen, wie sie wollte, wenn sie nur endlich zum Punkt käme. Allerdings musste sie zugeben, dass das merkwürdige Puzzlespiel aus Satzfetzen, das Johanna Strom vor ihr ausbreitete, langsam interessant wurde. »Sie haben also ein Foto Ihrer Tochter gesehen?«
    Ein Foto, auf dem sie gequält wurde?
    »Ja, ja. Da war eine Zeitangabe drauf, der zweiundzwanzigste September. Das kann man sicher fälschen, nicht wahr, aber warum sollte man?«
    »Wieso gehen Sie damit zu mir und nicht zur Polizei?«
    »Tut mir leid. Sehr leid. Ich wollte nicht Ihre Zeit stehlen. Es war nur, also, ich hab gelesen, Sie hätten mal das gleiche Problem gehabt, nicht wahr? Hat Ihnen doch auch keiner geglaubt, als Sie damals zur Polizei gegangen sind, oder?«
    Langsam dämmerte Alina, worauf die verwirrte Person hinauswollte.
    Wirklich zu dumm, John. Wieso nur hast du sie hereingelassen?
    »Hören Sie, Frau Strom. Ich will nicht unhöflich sein, aber ich kann Ihnen nicht helfen.« Alinas Geduld war erschöpft, und sie wollte in jedem Fall vermeiden, dass ihre Unterhaltung die Wendung nahm, die sie befürchtete. Doch schon beim nächsten Satz war es so weit.
    »Ich habe viel über Sie gelesen, Frau Gregoriev. Man sagt, Sie können, also, dass Sie da was können, was andere nicht schaffen. Das mit den vermissten Kindern.«
    »Sie irren sich.« Alina stand auf.
    »Aber die Zeitungen …«
    »Irren sich auch.«
    »Ich dachte nur, Sie haben doch auch mit den Zwillingen, also …«
    Gott im Himmel.
    Zwei Monate war sie allen Reportern aus dem Weg gegangen, hatte sich an der Tür verleugnen lassen und am Telefon immer wieder den gleichen Satz wiederholt: »Kein Kommentar.« Sie hatte sogar überlegt, wieder

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