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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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asthmatischen Husten eines Rentners verfallen, für begabte Schauspieler.«
    Alina nickte ungeduldig.
    »Meiner Meinung nach irren diese Skeptiker. Zahlreiche Untersuchungen haben ergeben, dass die Psyche nur bis zu einem ganz bestimmten Punkt belastbar ist, ich nenne ihn den seelischen Siedepunkt. Sobald die Grausamkeit, die man dem Körper oder Geist zufügt, zum Beispiel während einer Folter, diesen Siedepunkt überschreitet, entkoppelt sich der Leidende von der Realität. Er flüchtet in ein anderes Ich, in dem er die Schmerzen nicht mehr ertragen muss.«
    »Sie meinen, deshalb ist Zorbach nur noch ein Schatten in einem Rollstuhl? Er ist geflüchtet?«
    »Nicht ganz. Ich befürchte, Herr Zorbach ist gerade auf dem Weg in einen anderen Bewusstseinszustand. Noch ist er ansprechbar und reagiert auf Geräusche. So hat er zum Beispiel geblinzelt, als Sie eben eingetreten sind, und manchmal grunzt er zustimmend oder ablehnend, wenn ich mit ihm rede. Meiner Erfahrung nach tobt in ihm ein innerer Kampf, und er hat sich noch nicht entschieden, auf welche Seite er sich schlagen will. Bleibt er bei uns, oder verschwindet er irgendwo in den Untiefen seines Bewusstseins in einen Zustand, aus dem wir ihn im schlimmsten Fall nie wieder herausholen können?«
    Während Roths Frage wie eine dunkle Wolke im Raum schwebte, dachte Alina über die Entfernung nach, die zwischen ihr und Zorbach liegen musste. Sein Körper befand sich nur wenige Meter von hier im Altbautrakt der Anlage, seine Seele war Lichtjahre entfernt.
    »Welche Rolle spielt das verdammte Radio?«, wollte sie wissen.
    »Das haben wir noch nicht herausgefunden. Paradoxerweise schaltet er es immer ein, wenn die Wirkung seiner Medikamente einsetzt. Da er sich anfangs sogar weigerte, seine Mittel zu nehmen, scheint es fast, als wolle er gar nicht schmerzfrei sein und mit dem Krach des Radios neue Kopfschmerzen provozieren. Es gibt aber auch andere Erklärungsansätze. Möglicherweise hört er in dem Zischen und Rauschen für uns nicht wahrnehmbare Stimmen, die ihn in seinen neuen Bewusstseinszustand locken wollen. Jedenfalls wird er hektisch und aggressiv, wenn wir versuchen, es abzustellen.«
    Alina schüttelte fassungslos den Kopf, dann fiel ihr etwas ein, was sie schon die ganze Zeit hatte fragen wollen. »Sie sagten vorhin so etwas wie, Sie hätten auf mich gewartet. Weshalb? Wollten Sie mir sagen: Hey, ich hab eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Die gute: Ihr Freund ist doch nicht tot. Die schlechte: Er wünschte, er wäre es?«
    »Gewiss nicht. Ich warte nun schon seit Wochen auf Sie, damit Sie mir helfen. Besser gesagt, damit Sie Herrn Zorbach helfen.«
    »Wie das?«
    »Sollte meine Theorie stimmen …« Roth räusperte sich. »Sollte der Patient tatsächlich dabei sein, vor sich selbst zu flüchten, braucht er einen Anker in der Realität. Sie haben doch sicher von Komapatienten gehört, denen man ihr Lieblingsparfum auf die Haut sprüht oder ein Tuch mit dem Körpergeruch ihres Lebenspartners unter die Nase hält, in der Hoffnung, der Duft weckt alte Erinnerung und nährt in den Patienten den Wunsch, wieder aufzuwachen?«
    »Was hat das mit mir zu tun?«
    »Zorbach hat keine Angehörigen mehr, die ihm nahestehen. Sie sind die letzte Person, mit der ihn erst kurz zurückliegende, sehr intensive Erlebnisse verbinden. Ich erhoffe mir einen positiven Einfluss auf seinen Zustand, wenn Sie etwas Zeit mit ihm verbringen, Frau Gregoriev. Wenn Sie seine Hand halten, während Sie zu ihm sprechen.«
    »Oh Scheiße.«
    Alina traten Tränen in die Augen bei dem Gedanken, dass sie schon seit Wochen hätte hier sein können, um Zorbach wachzurütteln. Und dass dies von Stoya verhindert worden war, weil er sonst kein Druckmittel mehr in Händen gehabt hätte, um sie zu Sukers Behandlung zu zwingen.
    Sobald sie die Gelegenheit dazu bekam, würde sie dem Kommissar seine schrumpeligen Eier abreißen und Scholle gleich als Nächstem. Die Mistmaden hatten Zorbach wie einen Joker zurückgehalten.
    »Ich will Ihnen helfen, nichts lieber als das«, sagte sie, viel weniger wütend, als sie sich fühlte. Der Schock hatte seine aufputschende Wirkung verloren. Jetzt wurde ihr kalt, und sie fühlte sich schläfrig. »Aber möglicherweise wird das, was ich ihm zu sagen habe, seine Lebensgeister eher abtöten als beleben.«
    »Sie sprechen von seinem Sohn, richtig?«
    Alina nickte.
    Bevor sie in Zorbachs Krankenzimmer ihren emotionalen Zusammenbruch gehabt hatte, hatte sie

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