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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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fremde Hilfe konnte ich keine zwei Schritte gehen, doch das hielt mich nicht davon ab, einen Plan zu fassen. Der Plan lautete, Frank Lahmann um den halben Erdball zu jagen, um ihn nach einer langen, qualvollen Folter langsam zu töten. Rückblickend betrachtet, hatte die konzentrierte, ungefilterte Wut sicher einen starken Anteil an meiner verblüffend schnellen Regeneration. Über achtzig Prozent aller Menschen sterben an Verletzungen, wie ich sie erlitten hatte. Die wenigen Überlebenden werden schwerste Pflegefälle. Ich war eine Ausnahme von der Regel. Jeder Mensch braucht einen Antrieb, um Höchstleistungen zu vollbringen, und meine Motivation war der Hass.
    Diese Motivation allerdings ist sehr schwer aufrechtzuerhalten, wenn man plötzlich in die sanften Augen seines Sohnes blickt, der beinebaumelnd auf dem Fenstersims sitzt und einen mit einer einladenden Bewegung zu sich locken will.
    Lass uns gehen, Papi. Nur du und ich, gemeinsam. Dann sind wir wieder zusammen.
    Es ist eine Sache, einer imaginären Stimme zu widerstehen, und etwas völlig anderes, wenn dir dein totgeglaubter Sohn die Hand reicht. Natürlich wusste ich, dass die Medikamente daran schuld waren. Je lauter die Band spielte, je stärker meine Schmerzen waren, desto größere Mühe hatte Julian, dagegen anzuschreien. Als die Operationen aber Wirkung zeigten, als die Schwellung zurückging und als Roths Pillen den Schmerz endlich dämpfen konnten, kämpfte sich mein Sohn zurück – wenn auch nur in meine Vorstellungswelt. Eine Welt, die infolge meiner sensorischen Störungen so real war, dass ich meinen Sohn plötzlich hören
und
sehen konnte. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut, wenn er in seinem blassgrauen Lieblings-T-Shirt vor mir stand und sich die feuchten Haare aus dem Gesicht blies.
    Großer Gott, ich konnte ihn sogar riechen, diesen leicht süß-säuerlichen Eigengeruch, den ich das letzte Mal im Versteck des Augensammlers wahrgenommen hatte. Damals, als ich zu spät kam.
    Du musst keine Schmerzen leiden, Papa. Komm einfach mit mir mit und …
    Seine Stimme war weicher als in all meinen Erinnerungen, auch seine Konturen waren schwammig, hin und wieder – dann, wenn die Schmerzen erneut aufflammten – verlor er so stark an Intensität, dass ich durch seine Brust hindurchblicken konnte.
    Ich litt also unter einem grausamen Paradoxon. Wann immer meine Schmerzen schwächer wurden, kam mein Sohn zurück. Je besser es mir ging, desto realer wurde sein Trugbild. Am liebsten hätte ich die Tablettenaufnahme verweigert, aber nach den ersten Versuchen waren mir die Wirkstoffe intravenös verabreicht worden. Ich glaubte, vor einem unlösbaren Problem zu stehen. Mir fehlten die Kraft und der Wille, mich Dr. Roth mitzuteilen, und ein winziger Teil meines noch arbeitenden Gehirns sagte mir, dass es vermutlich ein sinnloses Unterfangen war, das Absetzen der Schmerzmittel zu verlangen, um die Wahnvorstellungen zu vertreiben. Schließlich half mir der Zufall. Eine Krankenschwester verstellte aus Versehen beim Bettenmachen das Radio, und Julian verschwand so plötzlich, wie er mich heimgesucht hatte. Er wurde nicht nur löchrig, nicht fadenscheinig und durchsichtig, sondern er löste sich vollständig auf, fast so, als wäre er eine Mücke und das Radio ein mit Hochfrequenz arbeitendes Insektenvertreibungsgerät.
    Der Lärm der überlappenden Frequenzen hatte ihn verscheucht.
    Von diesem Moment an wachte ich vor dem Fenster in meinem Rollstuhl vor dem Radio und passte auf, dass niemand einen klaren Empfang ein- oder das Gerät gar abstellen konnte. Anfangs versuchten Roth und seine Pfleger gegen den Lärm anzugehen, aber nachdem sie lernen mussten, welch ungewohnte Energien ein geistig verwirrter und rachsüchtiger Mann freisetzen kann, dem eine Kugel das Gehirn durchbohrt hat, gaben sie es schließlich auf. Nur in der Nacht, wenn die Medikamente mich ruhigstellten, wurde das Radio abgeschaltet, und das war auszuhalten. Denn die Sedativa erzeugten einen traumlosen Schlaf, den Julian nicht durchdringen konnte. Und morgens war meine erste Handlung, mich in den Rollstuhl zu wuchten, das Gerät wieder anzuschalten und davor Wache zu halten, so wie heute, als ich Besuch aus meinem früheren Leben bekam.
    Es war kurz nach dem Mittagessen, die Beruhigungsmittel der Nacht waren längst aus meinem Körper gespült und die Wirkung der ersten Schmerztabletten meiner Morgenration fast verflogen. Der Schlagzeuger warf wieder mit seinen Crashbecken, und

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