Der Augenjäger / Psychothriller
funktionierten. Hass hatte meine Lebensflamme am Köcheln gehalten. Angst und Gefahr brachten sie offenbar zum Lodern. Ich konnte fast jedes Wort von Stoya verstehen.
»Quatsch ist, dass keiner von uns dabei war, als sie mit Zorbach gesprochen hat. Du kannst Alina nicht leiden und hast sie völlig unvorbereitet hierher gelotst, nur um sie zu schocken. Damit hast du nicht nur Zorbachs Tarnung aufs Spiel gesetzt, sondern dafür gesorgt, dass ihre Zeugenaussage jetzt in seinem durchlöcherten Kopf steckt. Also tu mir bitte den Gefallen und halt die Schnauze und unterbrich mich nicht noch mal. Das Ganze ist schon schwierig genug hier.«
»Wasschischpaschiiert?«
Ich konnte erkennen, wie alle Anwesenden zusammenzuckten. Offensichtlich hatte niemand damit gerechnet, dass ich mich von alleine im Bett aufrichten und sprechen würde. Am wenigsten ich selbst.
»Sehr gut, sehr gut«, sagte Dr. Roth und trat rasch an mein Bett, um mir den Puls zu fühlen. »Wie geht es Ihnen?«
Beschissen,
dachte ich, wollte meine Energie aber nicht mit Kraftausdrücken verschwenden und sagte daher nur: »Alina?«
Stoya und Scholle sahen sich kurz an, als wüssten sie nicht, wer mir die schlechte Nachricht überbringen sollte, dann trat Stoya vor. »Vor drei Stunden ging ein merkwürdiger Anruf in der Zentrale ein. Ein Wirt meldet, ein Gast sei aus seiner Kneipe verschwunden. Wir vermuten eine harmlose Zechprellerei, aber als die Beamten eintreffen, erzählt ihnen der Wirt, dass die Frau blind war, noch gar nichts getrunken und ihren Hund allein an der Theke zurückgelassen hatte. Der Wirt wundert sich nach einer Weile, weshalb die Blinde nicht wieder vom Klo zurückkommt. Als er nachsehen geht, entdeckt er den aufgebrochenen Hinterausgang. Und damit fängt die Story erst an, denn als er in den Kneipenraum zurückgeht, um die Polizei anzurufen, ist plötzlich auch der Hund verschwunden. Die Spurensicherung kommt, untersucht die Toilettenkabine und findet Kampfspuren. Und bei der Vernehmung sagt der Wirt, die Blinde hätte ihren Hund TomTom genannt.« Stoya atmete schwer aus. »Es tut mir leid, aber wir müssen davon ausgehen, dass deine Freundin entführt wurde.«
Ich wusste es zu schätzen, dass der Chefermittler nicht lange um den heißen Brei herumredete. Einmal, weil ich nicht abschätzen konnte, wie lange ich noch zur Aufmerksamkeit fähig sein würde, bis mir wieder schwarz vor Augen wurde oder der Schmerz zurückkam. Zum anderen, weil sich eine Entführung in den ersten vierundzwanzig Stunden entscheidet. Aus meiner Zeit als Polizeipsychologe wusste ich, dass in dieser ersten Phase die Täter-Opfer-Situation noch chaotisch und desorganisiert ist. Beide Parteien müssen sich aufeinander einstimmen, das Opfer muss erst noch an den finalen Bestimmungsort verbracht werden. Hier geschehen die meisten Fehler, die man ausnutzen kann, um den Täter zu finden und seine Geisel zu befreien.
»Das alles geschah, kurz nachdem sie dich besucht hat, Zorbach.« Stoya sah mich an. »Und deshalb muss ich dich jetzt fragen: Hat sie dir gesagt, dass sie sich von Zarin Suker bedroht fühlt?«
Nein, nicht direkt.
Ich überlegte, wie ich am besten antworten sollte. Alina hatte von der Entführung einer Frau gesprochen, die auf einer öffentlichen Toilette stattfinden sollte, während das Radio lief. Aber der Moderator hatte sich versprochen, und daher war Alina von einem falschen Datum ausgegangen. Außerdem hatte sie geglaubt, dass das Opfer eine ehemalige Patientin dieses Suker sein würde. Doch das half in Anbetracht der gegenwärtigen Umstände alles nicht weiter, also blinzelte ich ein Ja. Dann versuchte ich einen Satz mit meinen trockenen Lippen zu formen, scheiterte aber schon nach den ersten beiden Worten.
»Wiekonn …?«
»Wie das passieren konnte?«, hörte ich Scholle einwerfen. »Suker, der Dreckskerl, ist gestern entlassen worden. Die Zivilfahnder haben seine Spur vor sechs Stunden auf dem Bahnhof Alexanderplatz verloren, als er am Ende des Bahnsteigs direkt vor einen einfahrenden Zug sprang und in den U-Bahnschacht lief.«
»Die Presse wird uns schlachten«, ergänzte Stoya. »Aber du weißt ja selbst am besten, dass wir nicht die Mittel und das Personal dazu haben, um jeden Irren in Berlin zu beschatten. Seitdem die nachträgliche Sicherheitsverwahrung verboten wurde, müssten wir uns allein um vier Pädophile kümmern, von denen wir
wissen,
dass sie wieder rückfällig werden.«
Ich öffnete meinen Mund, um zustimmend zu grunzen,
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