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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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aber alles, was ich hervorbrachte, war ein Speichelfaden, der mir das Kinn herablief.
    »Ich fürchte, Sie müssen zum Schluss kommen, meine Herren«, hörte ich Roth sagen, und erst jetzt fiel mir auf, dass ich meine Augen mittlerweile geschlossen hatte. Erstaunlicherweise schien die Unterhaltung mich nicht aufzuregen, sondern zu ermüden.
    »Weißt du, weshalb Alina ihre Informationen über Suker vor uns zurückhalten wollte?«, fragte Stoya.
    Ich blinzelte einmal und ließ die Lider geschlossen. Das meiste von dem, was Alina mir erzählt hatte, hatte ich im ersten Moment ihrer Schilderung gar nicht verstanden. Erst als ich später den Radiomoderator hörte, fielen mir ihre Worte wieder ein, und da ergaben sie plötzlich einen schrecklichen Sinn.
    »Weshalb?«, fragte Scholle. »Wieso wollte Alina nicht mit uns reden?«
    Weil sie eine Verbindung zwischen Suker und Julian aufgetan hat,
dachte ich und hielt nun aus demselben Grund den Mund.
    Alina war der Meinung, der Augenarzt wüsste etwas über meinen Sohn, trüge sich angeblich mit Schuldvorwürfen.
    »Das mit Julian ist meine Schuld«,
oder so ähnlich seien seine letzten Gedanken gewesen, die sie bei seiner Behandlung gespürt hatte.
    Zudem sollte sich, wenn ich Alina richtig verstanden hatte, eine Frau über den sterbenden Arzt gebeugt und das Wort »Finderlohn« benutzt haben, das Alinas Meinung nach darauf hindeuten könnte, dass Julian noch lebte.
    Oder dass seine Leiche gefunden worden ist,
hätte ich eingewandt, wenn ich zu diesem Zeitpunkt in der Lage gewesen wäre, meine Überzeugung zu artikulieren.
    Wie ich später herausfinden sollte, war Alina hin- und hergerissen gewesen, ob sie Stoya die Informationen weitergeben durfte, weil sie Angst gehabt hatte, die Kette der zukünftigen Ereignisse zu durchbrechen. Eine Verhaftung Sukers würde ein weiteres Opfer vor Schaden bewahren, könnte aber dazu führen, dass der Chirurg die Polizei niemals zu der Finderlohn-Frau führte, die, ebenso wie der Augenarzt selbst, etwas über Julians Schicksal zu wissen schien.
    »Ischmuschjetschtschlafen«, log ich und drehte mich zur Seite.
    Mein Schmerzpegel war gefallen, und wenn ich nicht aufpasste, würde ich womöglich erstmals seit Wochen ohne die Einnahme von Sedativa wegdämmern. Um das zu verhindern, musste ich nur an Alina denken und daran, was ihr in diesem Augenblick womöglich angetan wurde. Allein diese Vorstellung hielt mich wach.
    Ich stellte mich also schlafend und kämpfte gegen den Sog der Erschöpfung an, der mich nach unten in einen anderen Bewusstseinszustand ziehen wollte, bis die Polizisten es aufgaben, mir weitere Fragen zu stellen, und schließlich von Dr. Roth aus dem Zimmer begleitet wurden.
    Dann wartete ich eine halbe Stunde, bis ich vor Ungeduld platzend die Bettdecke zurückschlug und meinen Rollstuhl zurechtrückte.

25. Kapitel
    N ur drei Minuten, und ich war bereits schweißgebadet, dabei hatte ich es gerade mal bis zur Zimmermitte geschafft. Der Rollstuhl war leicht und wendig, dennoch kam ich nur quälend langsam voran. Mein Respekt für Querschnittsgelähmte wuchs mit jedem Zentimeter. Da ich nur eine Hand zur Verfügung hatte, driftete ich ungewollt zur Seite und musste die Richtung korrigieren, indem ich mein Gewicht auf die nutzlose rechte Hälfte verlagerte. Mein Arm war schwer, mein Kopf dagegen erstaunlich leistungsbereit. Obwohl mir die ungewohnte Anstrengung das Blut viel zu schnell durch die Adern jagte, verstärkten sich meine Schmerzen nicht, sondern änderten nur ihren Aggregatzustand. Waren sie die Tage zuvor schrill und nebelartig gewesen, verdichteten sie sich jetzt zu einem dumpfen und dickflüssigen Brei, der mit jeder Kopfbewegung in meinem Schädel umherschwappte. Eigentümlicherweise waren sie dadurch leichter zu ertragen, da ich mir einbildete, die Schmerzen besser kontrollieren zu können. Ihre Intensität nahm ab, sobald ich eine Ruhepause einlegte.
    Auf halber Strecke, ich hatte gerade erst mein Bett und einen nutzlosen Besuchertisch umrundet, erinnerte ich mich an den Schneefall, den ich die letzten Tage vom Fenster aus beobachtet hatte, und mir wurde klar, dass ich für mein Vorhaben etwas unpassend bekleidet war: barfuß, im zweiteiligen Pyjama.
    »Wo willst du hin?«,
hörte ich eine leise Stimme. Es war kein Flüstern, eher wie ein Schrei, der nur schwach zu einem durchdringt, weil man gerade mit dem Kopf unter Wasser steckt. Mein imaginärer Sohn nutzte die Gunst des sinkenden Schmerzpegels, um sich

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