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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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»Hab einen Becher gefunden.«
    Die Briefe waren nicht zugeklebt, der Falz steckte nur lose im Umschlag.
    »Ich komme gleich«, rief ich, während ich wahllos einen davon öffnete und hastig die ersten Zeilen überflog.
    Liebster Papa,
    wenn Du das hier liest, habe ich großen Kummer über Dich gebracht und werde freiwillig aus einem Leben geschieden sein, das ich nicht länger ertragen konnte …
    Ich war zu nervös, um weiterzulesen, sah lediglich Schlagwörter aufblitzen wie
    Suker – Skalpell – Schuld – Vergewaltigung
    und entdeckte auf den ersten Blick nichts von dem, was ich mir erhofft hatte. Keine Adresse des Verstecks, in dem sie gefoltert worden war. Kein Hinweis auf Frank Lahmann.
    »Alles okay?«
    Ich fuhr zusammen. Tamara stand hinter mir in der Tür, doch ich konnte mich nicht zu ihr umdrehen, solange ich noch ihr Testament in Händen hielt, also steckte ich mir den Brief hastig vorne in den Hosenbund, zog mein Hemd darüber und drehte den Wasserhahn zu.
    »Voilà«, sagte ich und ging auf sie zu. »Kalt, wie Sie es wünschten.«
    Sie sah mich lange schweigend an, und da sie nicht blinzelte, fühlte ich mich, als würde sie mich einem Verhör unterziehen. Schließlich nickte Tamara, nahm den Becher, und wir gingen gemeinsam zu ihrem Bett zurück, wo sie sich wieder auf die Kante setzte.
    »Sie sagten eben, die Verletzung Ihrer Augen wäre nicht das Schlimmste gewesen?«, griff ich unsere Unterhaltung wieder auf. Ich musste mich beeilen. Die Zeit, die Roth mir zugestanden hatte, war schon lange aufgebraucht, und ich musste jeden Moment damit rechnen, dass der Psychiater in unsere Unterhaltung platzte.
    »Hm.« Bevor Tamara weitersprach, trank sie ihr Wasser in mehreren langen Zügen bis auf einen kleinen Rest aus. »Ahh, danke sehr, das hab ich gebraucht.«
    Sie leckte sich über die Lippen. »Die körperlichen Qualen waren schlimm. Sie sind es noch immer. Aber Iris beschränkte sich nicht darauf, Gewebe, Muskeln oder Knochen zu verletzen. Sie wollte die vollständige Zerstörung von Körper und Geist.«
    »Wie hat sie das angestellt?«
    »Indem sie meine Freundin wurde.«
    Ich zuckte mit den Augenbrauen. »Wie meinen Sie das?«
    »So, wie ich es sagte. Iris ist pervers, eine Sadistin. Eines Tages hörte ich Geräusche in dem Raum mit den Tierkäfigen, in denen Suker uns gefangen hielt. Röchelnd, krank. Ein Mädchen oder eine Frau, ich konnte es nicht genau sagen, weil sie so erkältet war. Sie hustete. Und ich konnte sie nicht sehen, weil ihr Käfig hinter einer Säule stand.«
    Tamara trank hastig den letzten Schluck aus dem Becher.
    »Sie sagte, sie wäre auch eine Gefangene. Weinte bitterlich, ich tröstete sie, und gleichzeitig schenkte sie mir Hoffnung, weil ich glaubte, eine Leidensgenossin gefunden zu haben, der ich all meine Ängste anvertrauen konnte.«
    »Aber so war es nicht?«
    »Nein.« Tamara knüllte den Becher zusammen. »Man sagt, ein Feind kann einen verletzen, doch zerstört wird man nur durch einen Freund. Durch Iris lernte ich den Wahrheitsgehalt dieser Weisheit kennen. Das Mädchen in dem Käfig neben mir war nie eine Gefangene, verstehen Sie? Iris hat die ganze Zeit nur so getan.«

48. Kapitel
    Alina Gregoriev
    W ie viele Helfer hat Suker?«, fragte Alina ihre Mitgefangene, während sie die Metallöse hinter ihrem Kopf abtastete. In den letzten Minuten war es ihr gelungen, sich und ihre Liege Zug um Zug zurückzuziehen, bis sie die Wand erreicht hatte, an der die Kette ihrer Handfessel befestigt war. Wenn ihre Orientierung stimmte, befand sie sich am Kopfende des Raumes, genau gegenüber der Ausgangstür.
    Sie tastete mit der freien Hand nach hinten. Die Plastikfolie, mit der Suker sein provisorisches Operationszelt gebastelt hatte, lag hier direkt auf dem Putz, nur die Stelle für die Öse, durch die die Kette geschlungen war, hatte er ausgespart.
    »Gibt es noch mehr Assistenten außer Iris?«
    Es war wichtig zu wissen, gegen wie viele Gegner sie kämpfen mussten, wenn sich die Möglichkeit zur Flucht ergab.
    »Nein, nur sie und Suker«, antwortete Nicola. »Andere hab ich jedenfalls nie gesehen.«
    »Und wie oft lässt sie sich blicken? In den letzten Stunden war sie noch nicht hier, oder?«
    »Nein. Sie kommt schon lange nicht mehr. Ich hab sie seit unserem Kampf nicht mehr gesehen.«
    Nicola schluchzte, wahrscheinlich war ihr gerade in den Sinn gekommen, dass sie in Zukunft möglicherweise niemals wieder irgendetwas
sehen
würde.
    »Was für ein Kampf?«, fragte

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