Der Augensammler
informiert hatte, würde er in die Villa gehen, in der der Ehemann von einem Psychologen betreut wurde, und sich im Badezimmer einschließen. Hoffentlich war in dem Tütchen noch genug von dem Zeug übrig, das ihn die kommenden fünfundvierzig Stunden wach halten musste .
Was zum Teufel...?
Stoya hörte die Veränderung seiner Umgebung, bevor er sie sah. Es war der Klang des Regens, der etwa zwei Meter vom Zelt entfernt nicht mehr auf den Waldboden, sondern auf eine harte Oberfläche schlug. Auf Kleidung. Genauer gesagt auf einen weißen Schutzanzug, wie ihn Beamte der Spurensicherung tragen.
»Verdammt, was macht der Arsch denn hier?«, fragte Scholle. Seine ohnmächtige Wut auf den Augensammler hatte endlich einen Blitzableiter gefunden. Der Reporter, der in Hörweite zu ihnen herüberstarrte, war seinem Kollegen schon länger ein Dorn im Auge. Alexander Zorbach hatte sich vom Grunewald her zum Grundstück vorgepirscht und stand jetzt gemeinsam mit einem Mann am Gartenzaun, der einen Kopf kleiner und sehr viel jünger wirkte als er.
Fritz, Frank oder Franz. Stoya erinnerte sich dunkel, dass Zorbach ihm seinen Assistenten einmal auf einer Pressekonferenz vorgestellt hatte.
»Verpiss dich«, brüllte Scholle und griff zum Handy, doch Stoya legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. »Bleib hier, ich klär das.«
77. Kapitel
Stoya zog sich die Kapuze seiner Daunenjacke über den Kopf und trat in den strömenden Regen. Obwohl der Ärger mit jedem Schritt wuchs, war er doch froh, für einen Moment das Elend hinter sich lassen zu können. »Was willst du hier?«, fragte er, als er bei Zorbach am Zaun angekommen war. Dessen junger Lakai hielt sich einige Meter entfernt. »Verdammt, was machst du hier?« Er reichte ihm nicht die Hand, und er ging auch nicht durch die Gartentür hindurch zu ihm nach draußen, damit sie unter einem der Bäume Schutz suchen konnten. »Sag bloß, ich bin der Erste?«, fragte Zorbach, und wenigstens klang es nicht triumphierend, eher erstaunt. Solange Stoya ihn kannte, war es Alex nie darum gegangen, sich in den Vordergrund zu stellen. Es ging ihm immer nur um die Wahrheit. Und anders als viele seiner Kollegen unterzeichnete er seine gut recherchierten Storys auch nie mit seinem vollen Namen, sondern nur mit einem anonymisierten Kürzel. Mittlerweile wusste aber auch so jeder, wer sich hinter A. Z. verbarg.
Stoya steckte wütend die nassen Hände in die Hosentaschen.
»Ja, du bist der Erste, und ich frage mich, wie du das geschafft hast.«
Zorbach lachte gequält. Sein Haar war völlig durchnässt und die Hände durch die Kälte rot angelaufen, doch das schien ihm nichts auszumachen.
»Ach, komm schon. Wie lange kennen wir uns jetzt, Philipp? Du willst doch nicht wirklich hören, dass ich rein zufällig hier vorbeigekommen bin.« »Na klar. Mit OP-Überschuhen und Schutzanzug.« Stoya schüttelte den Kopf. Zufall. Das war die herkömmliche Ausrede der Pressehyänen, denn natürlich war es verboten, den internen Polizeifunk abzuhören. »Nein, Alex. Das lass ich diesmal nicht durchgehen. Ich will die Wahrheit wissen. Und komm mir jetzt nicht mit deiner beschissenen Intuition.«
Zorbach war ein Phänomen. Schon damals, als sie noch zusammengearbeitet hatten, war ihm das feinfühlige Gespür seines Kollegen manchmal unheimlich gewesen. Obwohl er das Psychologiestudium nie abgeschlossen hatte, war Alex einer der besten Verhandlungsführer der Polizei gewesen. Sein Einfühlungsvermögen, seine Gabe, selbst auf winzigste Nuancen im emotionalen Verhalten anderer zu achten, war legendär. Ein Jammer, dass es ihm schließlich auf der Brücke zum Verhängnis geworden war. »Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte Zorbach und wischte sich mehrere Tropfen von den Augenbrauen. »Du weißt, ich bin an dem Fall dran, von Anfang an. Ich schreibe nichts, was euch schadet. Im Gegenteil, ich versuche, dir zu helfen, und ich dachte, wir hätten eine Abmachung.« Stoya nickte, und dicke Regentropfen lösten sich von der Kunstfellumrandung seiner Kapuze. Zorbach war zwar offiziell aus dem Polizeidienst ausgeschieden, dennoch herrschte zwischen ihnen weiterhin eine fruchtbare Symbiose. Noch heute, sieben Jahre nach dem Vorfall, trafen sie sich in unregelmäßigen Abständen. Und wie oft hatte er bei diesen inoffiziellen Lagebesprechungen die alles entscheidende Frage aufgeworfen, die ihn bei ihren Ermittlungen weiterbrachte? Zum Dank und aus alter Verbundenheit wurde Alex bevorzugt behandelt
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