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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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heran. Leuchtete der Frau mit meiner Lampe direkt in die Augen.
    Ach du Scheiße...
    Es gab keinen Zweifel. Alles passte zusammen: die aufgeklappte Uhr, der Hund in dem Brustgeschirr, ihre Aussage, auf dem Weg mehrfach gestolpert zu sein. Was geht hier vor?
    Ich hatte eine Antwort gefunden - und konnte mir nun noch viel weniger erklären, wie diese namenlose Frau auf mein Hausboot gelangt war.
    Ich wusste nur, sie würde niemals blinzeln, ganz gleich, wie lange ich ihr in die getrübten Augen leuchtete.
    Denn die Frau, die mein Versteck entdeckt hatte, war blind.

70. Kapitel
    Draußen hatte der Wind aufgefrischt, in unregelmäßigen Abständen klatschten Wellen gegen den Schiffsrumpf. Bei meiner Ankunft war der Schnee noch lautlos zu Boden gefallen, nichts hatte auf einen nahenden Sturm gedeutet. Jetzt begannen die Planken unter meinen Füßen zu schwanken, und das Wasser schlug mit einem schmatzenden Geräusch an die Außenwand des Hausboots. »Ich geh dann mal besser«, sagte mein mysteriöser Gast, während ich eine altertümliche Öllampe entzündete, die ich immer gut gefüllt auf dem Fenstersims zurückließ, bevor ich das Boot verließ. »Halt, nicht so schnell.«
    Das schwefelgelbe Licht der Öllampe, die ich vor der Blinden auf den Couchtisch gestellt hatte, flackerte und erzeugte ein Schattenspiel in der gesamten Kabine. Aus der Nähe betrachtet musste ich meine erste Altersschätzung korrigieren. Die Frau war höchstens fünfundzwanzig Jahre alt, eher jünger. Mein Blick wanderte zu ihren stark verschmutzten Stiefeln. Sie waren an der Seite mit der farbigen Zeichnung einer nackten Japanerin verziert, was gut zu ihr passte, denn ihre straffe Haut, die hohe Stirn und die weit auseinanderliegenden Augen verliehen ihrem Gesicht einen dezenten eurasischen Ausdruck. Das Auffälligste an ihrer Erscheinung waren ihre unzähligen, knallrot gefärbten Rastalocken.
    Mein Vater hätte sie wohl als Punk bezeichnet. Meine Mutter wäre in ihrer Einschätzung vermutlich toleranter gewesen, wobei sie sich insgeheim gesorgt hätte, ob die Haare des hübschen Mädchens nicht unter dem ständigen Färben litten.
    »Ich bin auch froh, wenn Sie hier bald wieder verschwinden«, sagte ich. »Aber zuerst müssen Sie mir ein paar Fragen beantworten.« »Zum Beispiel?«
    Wer hat Sie angerufen? Von wem haben Sie die Wegbeschreibung bekommen? Und was haben Sie sich davon versprochen, mich hier zu besuchen? »Fangen wir mal damit an, wie Sie heißen.« »Alina.«
    Sie tastete nach einem schwarzen Rucksack, den sie sich zwischen die langen Beine gestellt hatte. »Ich heiße Alina Gregoriev, und mittlerweile habe ich wirklich die Schnauze voll von diesem Tag.«
    Ihr Atem dampfte, und erst jetzt wurde mir bewusst, wie kalt es hier drinnen war. Ich musste unbedingt den Holzkohleofen in Gang bringen, sobald ich wieder alleine war. »Was wollen Sie hier von mir?«, fragte ich. »Noch mal zum Mitschreiben, Herr Reporter: Sie haben mich zu diesem Selbstmordkommando überredet.« Alina imitierte mit dem Gegenstand in ihrer Hand einen Telefonhörer und äffte einen imaginären Anrufer nach: »Fahren Sie mit dem Bus bis zum Nikolskoer Weg. Bleiben Sie auf der Straßenseite und gehen Sie bis zur nächsten Einfahrt rechts.«
    Das ist unmöglich, dachte ich, während sie mit exakt der Wegbeschreibung fortfuhr, an die ich mich erst vor wenigen Minuten selbst gehalten hatte.
    »Von dort aus geht's zu einer Abzweigung. Dann weiter, bis Sie auf einen Querbalken stoßen, blablabla ...«
    Völlig unmöglich ...
    »Das war ich nicht«, sagte ich, um Fassung ringend. Wer außer mir weiß noch von diesem Ort? Und wer sollte mir und einer Blinden diesen schlechten Scherz spielen wollen?
    Ich stutzte und musterte die Frau auf dem Sofa mit neuem Misstrauen. »Sie müssen doch hören, dass nicht ich es war, der Sie angerufen hat.«
    »Weshalb?«
    »Na ja, weil Sie .«
    »Weil ich blind bin?«, fragte sie und lächelte bitter. »Von einem Enthüllungsjournalisten hätte ich wirklich eine etwas bessere Allgemeinbildung erwartet.« Sie schüttelte mit gespielter Enttäuschung den Kopf. »Es ist ein albernes Vorurteil, dass alle Blinden besser hören könnten. Sicher, wir sind konzentrierter, da wir nicht durch optische Reize abgelenkt werden, und oft kompensieren die anderen Sinne das fehlende Augenlicht. Aber das macht uns nicht automatisch zu Fledermäusen, und außerdem ist es bei jedem Blinden anders.«
    Sie griff nach dem Haltebügel für das Geschirr ihres

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