Der Ausflug
schreckte aus dem Schlaf und fing an zu weinen. Große, kullernde Tränen liefen unter den noch geschlossenen Lidern hervor, die sogleich in einen Wasserfall des Kummers übergingen. Sie fuchtelte mit den Ärmchen und lief rot an vor Wut, Unbehagen, Hunger und wer weiß weswegen noch, vielleicht hatte sie auch die Windel voll, war ihr zu warm oder zukalt... Ach, wie furchtbar, so klein zu sein und nichts sagen zu können, nicht, was man brauchte, nicht, was einem fehlte, nicht, was einem wehtat, nicht, worum es einem ging. Gwen hob ihre Tochter hoch und drückte sie an sich, beinahe automatisch.
»Von allem ?«, fragte Timo bitter. »Das ist aber ein bisschen viel. Bin ich da plötzlich auch mit inbegriffen?«
Sie drehte ihm den Rücken zu. Mit dem kreischenden Baby auf dem Arm stellte sie sich ans Fenster. Es war schon stockfinster draußen: Sie sah nichts außer ihrem eigenen Spiegelbild in der Scheibe. »Im Moment schon, ja.« Es klang kalt und hart, wie ohne jedes Gefühl. Was sollte das, was richtete sie an? Und doch drängte sie nichts dazu, ihre Worte zurückzunehmen. Deren Gleichgültigkeit gefiel ihr eigentlich sogar. Warum sollte sie ein Hehl daraus machen?
Hinter ihr sagte Timo: »Was ist denn jetzt los, Gwen?« Er musste die Stimme erheben, um Babette zu übertönen.
»Du hast mich doch gehört!« Sie starrte weiterhin bockig vor sich hin.
»Ich bin immer davon ausgegangen, dass wir in guten und schlechten Zeiten zusammenhalten würden. Aber kaum haben wir mal Pech mit den Bienen, wirfst du das Handtuch.«
Sie war so perplex, dass sie sich umdrehte. »Denkst du denn wirklich...«
Er nahm ihr Babette aus den Armen und hob sie hoch in die Luft. »Sachte, sachte, Liebes.« Das Geplärr des Babys nahm ein wenig ab.
Gwen schlug die Augen nieder. Vielleicht ließ sie ihn besser in dem Irrglauben. Typisch Timo, zu denken, dass sich alles um seine Bienen drehte. So arglos. Ja, aber auch so oberflächlich, so stupide, so platt. Dass er ihr nichts ansah, nichts roch. Und wenn sie sieben Liebhaber gehabt hätte. So wichtig und unersetzlich war sie also für ihn.
»Gwennie. Wir haben doch auch früher schon magere Jahre gehabt. Und haben uns immer wieder erholt. Du kennst uns doch, wir sind wie Unkraut!«
»Sprich bitte nur für dich, ja?«
Er presste kurz die Lippen aufeinander und sagte dann: »Ich glaube, die Mädchen könnten so langsam einen Teller Suppe gebrauchen. Kommst du mit nach unten?«
Als sie keine Antwort gab, verließ er mit Babette auf dem Arm das Zimmer. Als geschlagener Hund oder als Säule der Toleranz und Selbstbeherrschung? Sie wusste es nicht. Aber es war ihr auch egal, ob sie ihn ins Herz getroffen hatte. Es war ihr egal, ob sie ihn verletzt hatte. Er war ja auch kein Waisenknabe. Unkraut! Wie immer sehr schmeichelhaft, was Timo so von sich gab.
»Na los, Maus!«, sagte sie laut zu sich selbst, und plötzlich war ihr dieser Kosename zutiefst zuwider. Wütend hob sie ein paar Babysachen auf, die auf dem Boden lagen. Nicht eine Sekunde konnte man in diesem Haus mal untätig herumsitzen. Selbst wenn man allen Grund hatte, seinem Mann den Schädel einzuschlagen, erledigte man besser vorher noch schnell die Wäsche, sonst wuchs einem alles über den Kopf. Und wenn man versuchte, in ehrlichen Worten zu schildern, wie es um einen bestellt war, wurde man zur Erholung außer Haus geschickt. Zu Laurens noch dazu.
Plötzlich hielt sie inne, die Hände voller feuchter, übel riechender Windelhöschen. War Timo wirklich so unschuldig, wie er sich gab? Er wusste genau, dass Laurens und Leander wie Feuer und Wasser waren. Wenn sie in trauter Freundschaft bei Laurens Quartier bezog, wäre Leander das höchst unangenehm. So war das also. Sie wurde gar nicht ihrer wohlverdienten Ruhe zuliebe zu Laurens verfrachtet, sondern Timo bezweckte damit nur, dass Leander das stinken und er genug von ihr haben würde. Mein Gott, wie abgefeimt. Daglaubte man jemanden zu kennen, glaubte, er trauere um seine Bienen und die verlorene Idylle der Imkerei mit der sonnigen, duftenden Weide, den von goldgelbem Honig triefenden Waben, den üppigen Trockengestellen voller Kerzen – einen Augenblick war es, als sähe sie sich selbst summend in der Kerzenmacherei arbeiten, und ihr Herz krampfte sich zusammen – und dem Garten, der so viel Pflege erforderte, mit all den alten Bäumen und dem nicht auszurottenden Moos, das diese mit sich brachten, und... Sie hatte den Faden verloren. Kurzerhand rundete sie böse ab: Und
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