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Der Ausloeser

Der Ausloeser

Titel: Der Ausloeser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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werden würde?
    Dass sie vielleicht niemals verstehen würde, was er getan hatte, dass er es selber bis in alle Ewigkeit bereuen würde, dass er damit alle möglichen Menschen verraten hatte, und dass er es trotzdem hatte tun müssen, für sie, nur für sie?
    Doch er sagte bloß: »Bitte?«
    Und es wirkte – Alex sah, wie Scott ins Grübeln kam. Offensichtlich wollte er hier nicht das Arschloch sein, ja, tatsächlich   war   er kein Arschloch. Da hörte er eine Stimme aus dem Flur, eine weibliche Stimme. Cassie? Trish? Alex war sich nicht sicher, doch die Stimme schien Scott auf die Sprünge zu helfen. Sofort richtete er sich zu seiner vollen Größe auf. »Es geht nicht. Tut mir leid.«
    »Hör mir zu. Ich weiß, das klingt völlig absurd, aber … aber es könnte meine letzte Chance sein. Also bitte, gib dir einen Ruck.«
    »Stimmt, das klingt wirklich absurd. Wir ziehen erst in ein paar Wochen um. Also komm doch einfach morgen Nachmittag vorbei, okay?«
    Er seufzte. »Okay.« Und machte sich auf den Weg zum Auto.
    »Alex?«
    Was wollte der Typ noch von ihm? Alex fuhr herum und blieb stehen. Der Regen prasselte auf sein kurzes Haar und rann ihm übers Gesicht.
    »Ist irgendwas mit dir?«
    Fast hätte er gelacht, aber dann schüttelte er bloß den Kopf und ging weiter. »Nein, nein.«
    Als er nur noch wenige Meter von seinem Wagen entfernt war, hörte er Geräusche in seinem Rücken, gefolgt von Scotts Stimme: »Warte, Cassie …«
    »Daddy!«
    Er drehte sich um – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sie durch den Vorgarten sprintete, um sich zu bücken, seine Tochter mit den Armen aufzufangen und hoch in die Luft zu reißen. Sein kleines Mädchen. Der Duft ihres Haars, die Wärme ihres Körpers.
    Ein einziger Moment, in dem alle anderen Momente enthalten waren. Wie er mit halb abgestorbenen Beinen in seinem zerschlissenen Sessel gesessen hatte, die schlafende Cassie auf dem Bauch. Der Babyatem auf seiner Brust, der Milchgeruch in seiner Nase. Oder der Unabhängigkeitstag, als Cassie ihren Namen mit einer Wunderkerze in die Nacht gezeichnet hatte. Damals war sie sechs Jahre alt gewesen. Oder heute beim Fußball, der eine, perfekte Moment, Cassie in der Luft, horizontal über dem Boden, ein Schnappschuss seiner geistigen Kamera. »Meine Kleine«, flüsterte er, »meine Kleine.«
    Sie klammerte sich noch fester an seinen Hals. »Ich will nicht mit nach Arizona. Ich will hierbleiben, hier bei dir.«
    Das will ich doch auch, Liebling. Das ist alles, was ich will.
    Über ihre Schulter sah er, wie Scott mit schnellen Schritten auf sie zuging. Er wirkte misstrauisch, vorsichtig. In der offenen Tür tauchte Trish auf, kniff die Augen zusammen und spähte in die Dunkelheit.
    Alex erlaubte sich, den Gedanken noch ein allerletztes Mal durchzuspielen: Könnten sie nicht schnell ins Auto steigen, sie beide, und alles hinter sich lassen, die Drogen, die Polizei, die Leiche in der Gasse? Einfach abhauen, weiß Gott wohin, für immer zusammen, zu zweit gegen den Rest der Welt? Es war ein wunderschöner, ein unerträglich schöner Gedanke.
    »Schon gut, Cassie«, sagte er. »Alles ist gut.«
    Eine Sekunde später stand Scott vor ihm, die Arme ausgebreitet, den Kopf geduckt, als würde er sich jeden Moment auf sie stürzen und zu Boden reißen. Alex sah die Angst in seinen Augen – Scott wusste genau, woran er gerade gedacht hatte.
    Vorsichtig ließ er Cassie herunter und ging vor ihr in die Knie. »Du weißt doch, dass ich dich sehr, sehr lieb habe, oder?«
    Sie nickte, die Augen weit aufgerissen.
    »Und du versprichst mir, dass du es nie, nie, nie vergisst?«
    »Ja. Aber bitte, ich will nicht mit nach Arizona.«
    Als er spürte, wie seine Knie weich wurden, schloss er die Augen und versuchte, das letzte bisschen Kraft aus sich herauszuholen. Trotzdem war er sich nicht sicher, ob es für die nächsten paar Sätze reichen würde. »Hör mir zu, Liebling. Es ist besser so. Scott und Mom haben dich auch lieb. Du wirst ein ganz normales, schönes Leben haben.«
    »Aber ich will bei dir sein!«
    »Ich weiß, Schatz. Ich will doch auch bei dir sein. Aber es ist besser so.« Seine Hände verkrampften sich. »Es ist wirklich besser so.«
    »Alex«, sagte Scott.
    Er nickte und schaute auf. Er sah seinen Nachfolger flehend, fast schon bettelnd an, ohne zu wissen, was er sich eigentlich von ihm erhoffte. Alles? Ja, wahrscheinlich. Doch als sich ihre Augen begegneten, vergaß Alex seine ganze Wut, das ganze Unrecht, das man ihm angetan

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