Der Ausloeser
nicht leiden, aber …«
»Doch.« Mitch seufzte. »Ziemlich gut sogar. Ich glaube, ich wollte immer ein bisschen so sein wie er. Aber du hattest von Anfang an recht: Alex denkt nur an seine Tochter. Alles andere ist ihm egal.«
»Aber das ist ein, ein … ein tödliches Giftgas! Das kann er doch nicht einfach so …«
»Moment, Moment. Davon weiß er nichts. Okay, vielleicht ahnt er etwas, aber er wird es sich nicht eingestehen. Er wird sich einreden, dass es sich dabei um irgendwelche Chemikalien zur Herstellung von Drogen handelt, genau wie wir. Und was bedeuten schon ein paar Drogen mehr oder weniger im Vergleich zu Cassie?«
Denk nach, Ian. Was sind eure Stärken? Sie wussten, was in den Flaschen war, und weder Johnny noch Victor wussten, dass sie es wussten. Okay, was noch?
Tja, was? Ihm fiel nichts ein.
Okay, dann die Schwächen. Victor hatte Bodyguards und Waffen und scheute sich nicht, Gewalt anzuwenden. Alex hatte einen Vorsprung. Sie hatten der Polizei nichts mehr zu bieten, die Flaschen waren ihr einziges Ass im Ärmel gewesen. Und sie hatten die schlechte Angewohnheit, sich bei jeder Gelegenheit gegenseitig in den Rücken zu fallen.
Also lüg dir nicht in die Tasche. Es ist zu Ende.
»Wisst ihr noch?« Jenns Stimme klang, als würde sie eher mit sich selbst reden. »Ich meinte, das wäre alles nicht unsere Schuld. Aber das stimmt nicht, oder?«
»Na ja, wir haben das Zeug wirklich nicht hergestellt, und …«
»Mitch.«
Er seufzte. »Ja. Spätestens jetzt ist es auch unsere Schuld.«
»Wegen uns könnten Tausende von Menschen sterben.«
Ein Satz wie ein Peitschenhieb. Sofort war Ian zurück im September. Egal wie viele Jahre seither vergangen waren, für ihn war es nicht der 11. September 2001, sondern einfach: September. Stundenlang hatte er vor dem Fernseher gesessen und das World Trade Center einstürzen sehen, immer und immer wieder. Vor allem die Aufnahme des zweiten Flugzeugs – jedes Mal hatte er gehofft, dass es dieses eine Mal anders laufen, dass es den Turm dieses eine Mal um ein paar Zentimeter verfehlen würde. Dass es ein Happy End geben würde.
Aber es gab kein Happy End. Auch nicht bei der tausendsten Wiederholung.
Er war damals ganz am Anfang seiner Karriere gestanden. Von früh bis spät hatte er an einem engen Arbeitsplatz in einem Großraumbüro gehockt, doch der eigentliche Wertpapierhandel spielte sich nicht im grellen Licht der Neonröhren, sondern in der virtuellen Welt ab, am Telefon, auf dem Computer. Tagtäglich hatte er mit Kollegen auf der ganzen Welt kommuniziert, viele davon in New York, viele davon im World Trade Center. In diesem September hatte er einige Freunde verloren. Wann immer er die springenden, fallenden Gestalten sah, fragte er sich, ob es sich dabei vielleicht um jemanden handelte, den er kannte. Dabei war auf den verrauschten Aufnahmen sowieso nichts zu erkennen.
Und es konnte sich jeden Tag wiederholen. Wieder würden unfassbare Bilder über den Fernseher flimmern, zerschmetterte Körper, Massenpanik, wieder würde sich ein ganzes Land urplötzlich bewusst werden, dass es nicht unverwundbar war, dass es Feinde hatte, die durchaus in der Lage waren, es empfindlich zu treffen.
Nur würde er sich diesmal fragen müssen, ob er nicht seinen Teil dazu beigetragen hatte.
In Mitchs Innerem braute sich etwas zusammen. Er fühlte sich, als müsste er jeden Moment schreien. Sie hatten so viel Zeit gehabt, das Richtige zu tun. Nicht erst seit ihnen die Chemikalien in die Hände gefallen waren, sondern vor allem davor, als sie rumgesessen und Müll gelabert hatten, statt etwas aus ihrem Leben zu machen. Dabei hatte ihnen die ganze Welt zu Füßen gelegen.
Aber am schlimmsten war diese letzte, bittere Ironie: Alex hatte dafür gesorgt, dass sie in Sicherheit waren. Sobald er Victor gegeben hatte, was er wollte, war es vorbei. Sie würden keine Probleme bekommen, die Polizei würde weiter im Dunkeln tappen. Sie könnten einfach weitermachen wie bisher, nur mit viel mehr Geld in den Taschen.
Sie mussten nur abwarten.
»Scheiße!« Er schlug mit der flachen Hand auf die Küchentheke. Der stechende, klare Schmerz erinnerte ihn an die Ohrfeige, die er Jenn verpasst hatte. Schnell schob er den Gedanken weg. Wenn er jetzt anfing, über jede einzelne Sünde nachzugrübeln … »Nicht mit mir«, murmelte er und knetete die Hände. »Nicht mit mir. Jenn, du rufst sofort deinen Detective an und vereinbarst ein Treffen. Du und Ian, ihr erzählt ihm, was
Weitere Kostenlose Bücher