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Der Ausloeser

Der Ausloeser

Titel: Der Ausloeser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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einen anderen Menschen verwandeln und weitermachen, als wäre nichts geschehen. Und vielleicht gibt es Menschen, die so etwas können, die einfach vergessen können, aber ich kann es nicht. Ich werde ihnen sagen, dass ich ihn erschossen habe, um euch zu beschützen. Vielleicht bringt das was, vielleicht auch nicht. Aber so kann es nicht weitergehen, und ich werde nicht zulassen, dass Victor das Zeug in die Finger bekommt.«
    »Aber es ist doch nicht unsere Schuld.« Jenn wurde wütend. Warum musste ausgerechnet sie diese undankbare Rolle übernehmen? »Klar klingt das blöd, aber wären wir nicht plötzlich aufgetaucht, hätte Victor das Zeug weiterverkauft, und niemand hätte je davon erfahren.«
    »Sicher. Aber stell dir doch mal vor, wir geben ihm die Flaschen, und eines Morgens machst du den Fernseher an und siehst Bilder von einem Terroranschlag mit Nervengas. Sarin. Vielleicht ganz in der Nähe, vielleicht sonst wo, vielleicht gar nicht mit unserem Zeug, aber auf jeden Fall mit Hunderten von Toten. Wir würden uns immer fragen, ob wir es hätten verhindern können. Denkst du, du könntest damit leben?«
    Sie sah ihn an. Mitch stand mit durchgedrücktem Rücken vor ihr, doch seine Hände zitterten. Das Straßenlicht, das durch die regennasse Fensterscheibe drang, warf gesprenkelte Schatten auf sein Gesicht. Sie stellte sich vor, eines schönen Morgens in ihrer Küche beim Frühstück zu sitzen: Das Radio läuft, der Bagel ist im Toaster, der Hummus steht auf dem Küchentisch, die Kaffeemaschine blubbert. Jenn in ihrer hübschen kleinen Welt. Und auf dem Fernseher: Bilder von toten Menschen, die deformierten Körper und zu einem ewigen Schrei verzerrten Gesichter von unschuldigen Menschen.
    »Nein«, sagte sie. »Nein.«
    »Ich auch nicht«, meinte Ian. »Aber der Plan hat einen Haken. Das Zeug ist im Schließfach. Also wie sollen wir …« Jenns Blick ließ ihn innehalten. »Was?«
    »Ist es nicht.« Sie zuckte die Schultern. »Das Zeug ist hier.«
    »Hier?«
    »Also nicht direkt hier. Die Straße runter im Kofferraum. Da, wo wir es gefunden haben.« Sie zögerte.
    »Mitch, bist du dir wirklich sicher, dass du das tun willst? Du weißt doch …«
    »Ja.« Er reckte die Hände über den Kopf und ließ sie wieder fallen. »Glaub mir, ich bin nicht besonders scharf drauf. Aber was diese Entscheidung von vorhin angeht – ein paar Menschen, die wir lieben, oder viele Menschen, die wir noch nie gesehen haben … Da mach ich nicht mit.«
    Eine ganz simple Aussage. Aber Jenn war sich nicht sicher, ob sie die Kraft dazu gehabt hätte.
    »Und was willst du den Cops sagen?«, fragte Ian.
    »Die Wahrheit, zumindest mehr oder weniger. Euch drei muss ich ja nicht erwähnen.«
    Ian schüttelte den Kopf. »Doch. Johnny hat mich gesehen.«
    »Gut, dann sag ich eben, ich will meine Partner nicht verraten.«
    »Damit tust du dir aber keinen Gefallen. Bisher bist du ein ganz normaler Typ ohne Vorstrafen. Auf der anderen Seite stehen ein ehemaliger Drogendealer und ein Gangster, der einen chemischen Kampfstoff verticken wollte. Einen Kampfstoff, den du den Cops netterweise mitbringst.«
    »Ja, aber …«
    »Und davon abgesehen – scheiß auf das Gefangenendilemma.« Ians Lippen krümmten sich zu einem schiefen Grinsen. »Denk ja nicht, du könntest das alles ganz allein auf deine Kappe nehmen.«
    Mitch lächelte. »Wenn du jetzt erwartest, dass ich dir widerspreche …«
    »Nein.« Jenn stand auf. »Wir kommen beide mit.« Im selben Moment begriff sie, dass sie genau das wollte – Verantwortung für ihre Taten übernehmen, eine gerechte Strafe über sich ergehen lassen, ihren Freunden beistehen. »Wie’s aussieht, ist der Donnerstagabend-Kneipen-Club doch noch nicht am Ende.« Sie atmete tief ein und spürte, wie die kühle, raue Luft in ihre Lungen strömte. »Also, wann gehen wir hin?«
    »Jetzt«, sagte Mitch. »Sofort.«
    Es regnete schon seit Stunden, nicht stark, aber beständig, und die Luft roch, als würde sich das in den nächsten Stunden auch nicht ändern. Das schlechte Wetter hatte dafür gesorgt, dass der übliche Samstagabendtrubel ausgeblieben war, die Gehsteige wirkten beinahe verwaist. Schweigend, verloren in ihre eigenen Gedanken, liefen sie nebeneinander her.
    »Es tut mir leid«, meinte Mitch plötzlich. Er sah Jenn in die Augen. »Ich kann einfach nicht fassen, dass ich dich … Das … Das bin doch nicht ich.«
    Sie überlegte lange, was sie antworten sollte, ging die verschiedenen Möglichkeiten durch.

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