Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ausloeser

Der Ausloeser

Titel: Der Ausloeser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
Vom Netzwerk:
hätte das Ganze immerhin noch eine Art Sinn ergeben. Aber so?
    Doch das Schlimmste, begriff er, das Schlimmste war, dass sie nichts dagegen unternommen hatten. Damit trugen sie einen Teil der Schuld. Egal was passieren würde, egal welchen Weg diese vier unscheinbaren Flaschen nehmen und wo auch immer unzählige Unschuldige sterben würden – Sie hätten ihren Teil dazu beigetragen.
    Wie viele Menschen hatten sie auf dem Gewissen?
    Zuerst tat sich überhaupt nichts. Es wurde still. Bis Ian auf einmal merkte, dass sich die Couch bewegte – und Jenn sich auf ihn stürzte.
    Ian riss die Hände hoch und erwischte sie gerade noch am Handgelenk. Zentimeter vor seiner Wange glitzerte die teuflisch geschwungene Spitze der Nagelschere.
    »Du Arschloch, du gottverdammtes   Arschloch «, brüllte sie, »was bist du nur für ein Stück Scheiße!«
    Ian musste sich mit Händen und Füßen wehren; er war überrascht, wie stark sie war – beziehungsweise wie schwach er selbst war. Bestimmt war es ein witziger Anblick: ein Typ im Anzug, der halb über der Armlehne einer Couch hing, über sich eine Fünfzig-Kilo-Frau, die ihn mit einer winzigen Nagelschere attackierte.
    Kein Wunder, dass der Fremde in schallendes Gelächter ausbrach. »Nicht schlecht, Schätzchen, nicht schlecht.«
    »Helfen Sie mir, verdammt noch mal!«, kreischte Ian.
    Immer noch lachend zog er die Waffe aus dem Hosenbund. »Okay. Es reicht.«
    Doch Jenn wehrte sich weiter gegen Ians Griff, mit hochrotem Gesicht und rasend vor Wut. Die scharfe Kante der Schere rückte näher.
    Ein lautes Klicken. Jenn erstarrte, kniff die Augen zusammen, drehte sich langsam um – und blickte direkt in den Lauf der entsicherten Waffe. Vorsichtig wich sie zurück, auf ihre Seite der Couch.
    »Und jetzt lässt du das üble Ding schön fallen.«
    Jenn schleuderte die Schere auf den Tisch, von dort aus schlitterte sie weiter auf den Boden. Dann fuhr sie herum und starrte Ian ins Gesicht, lehnte den Kopf zurück und spuckte eine Ladung Speichel auf sein ehemaliges Lieblingshemd.
    Wieder musste der Fremde lachen. »Aber Schätzchen! Das hätte ich dir gar nicht zugetraut! Du gefällst mir, wirklich.«
    »Fick dich ins Knie«, erwiderte sie trotzig.
    »Okay, besonders kreativ war dein Einfall ja nicht, aber immerhin …« Er wandte sich an Ian. »Wenigstens lag ich bei dir richtig. Seit ich mit deinem Buchmacher gesprochen habe, war mir klar, was du bist: ein mieser, kleiner Verräter.«
    Ian hob die Hände. »Ich will bloß leben.«
    »Sicher. Und es ist dir egal, ob du deine Freunde dabei ans Messer lieferst. Aber was soll’s, eigentlich hast du sie ja von Anfang an nach Strich und Faden betrogen.«
    Ihm wurde schlecht. Er spürte, wie er rot anlief. »Über zweihunderttausend Dollar in bar. Das ganze Geld, bis auf die paar Tausend, mit denen ich meine Schulden bei Katz beglichen habe. Das ist doch kein schlechter Preis für ein Menschenleben.«
    »Und wo ist das Geld?«
    »Hier.«
    »Wo genau?«
    »Also kommen wir ins Geschäft?«
    Der Fremde zuckte die Schultern. »Warum nicht?«
    »Versprochen?«
    »Ehrenwort.« Ungeduldig schwenkte er die Pistole. »Also los.«
    Ian war schweißgebadet. Das Designerhemd klebte unter seinen Achselhöhlen. Ihm war, als könnte er jeden einzelnen Tropfen Blut spüren, der durch die kilometerlangen Adern seines Körpers schoss. Angst, Adrenalin und verzweifelte Hoffnung, eine Mischung, die er vom Black Jack kannte, von der Sekunde, bevor die letzte Karte aufgedeckt wurde. Sieg oder Niederlage, beides war möglich. Nur dass der Einsatz diesmal höher war, viel höher als alles, was er je gesetzt hatte. Und dass er praktisch nichts in der Hand hatte.
    Alles klar, Junge. Mach mir jetzt nicht schlapp. Spiel das Spiel.
    Langsam stand er auf und versuchte, die unzähligen schmerzenden Stellen in seinem Körper zu ignorieren. Jeder Atemzug kostete Kraft.
    »Nicht vergessen«, sagte er. »Über zweihunderttausend Dollar in bar. Alles hier in der Wohnung.«
    »Ja?«
    »Also passen Sie bitte mit dem Ding da auf.«
    Der Fremde lächelte. »Keine Angst, ich pass schon auf. Hauptsache, Sie passen auf. Denn wenn Sie hier meine Zeit verschwenden, kann ich Ihnen versprechen, dass die nächsten Stunden nicht besonders angenehm werden. So unangenehm, dass Sie alles Angenehme, was Sie jemals in Ihrem hübschen kleinen Leben erlebt haben, vergessen werden.«
    Ian zitterte. Er konnte nicht anders, ihm war eiskalt, als würde ein Eiswürfel über seine Wirbelsäule

Weitere Kostenlose Bücher