Der Ausloeser
Metallisches. Katz schloss den Koffer und hielt ihn Ian unter die Nase.
Mit zitternden Händen fasste Ian nach dem Griff und richtete sich langsam auf. Weil ihm die Hose um die Knöchel hing, musste er sich noch einmal bücken. Ein Feuerwerk aus Schmerzen schoss sein Rückgrat hinauf.
»Gut. Und jetzt raus hier.«
Ian gehorchte.
Er ratterte die Treppe hinunter, ein verwischter, schemenhafter Tunnel. Mit einer Hand hielt er die Hose oben, mit der anderen umklammerte er den Koffer. Unten sagte die Dame hinter der Theke etwas, das Ian nicht verstand. Er taumelte durch den Vorraum in die Bar. Wieder blickte niemand auf, als er in einem stolpernden Sprint zur Tür rannte – und plötzlich im grellen Sonnenlicht auf dem Gehsteig stand.
Seine Augen huschten in alle Richtungen. Ein spanisches Pärchen bemerkte seinen irren Blick und hielt inne.
Verdammt, verdammt, verdammt, reiß dich zusammen!
Er stellte den Koffer ab. Die Knöpfe seiner Hose waren abgerissen, aber der Gürtel hing noch in den Schlaufen. Mit ungeschickten Händen schloss er die Schnalle, richtete das zerfetzte Hemd und stopfte es notdürftig in den Hosenbund. Als er versuchte, einen Fuß vor den anderen zu setzen, geriet die Welt um ihn herum ins Wanken. Er musste sich am Rand eines Mülleimers festhalten. Kaum hatte er sich ein wenig vorgebeugt, schmeckte er Säure in der Kehle, doch sein Mund war staubtrocken. Er wollte sich jetzt nicht übergeben – er bekam auch so schon keine Luft. Mit zerrissenem Hemd und schmerzverzerrtem Gesicht klammerte er sich an den Mülleimer.
Niemand schien Notiz von ihm zu nehmen.
9
DURCH DIE LÜCKE ZWISCHEN DEM GEGENVERKEHR UND DEM TAXI , das in zweiter Reihe vor dem Gehsteig hielt, hätte man problemlos einen Sattelschlepper steuern können, doch der Idiot im Lexus kroch trotzdem in Schrittgeschwindigkeit und mit der Hand auf der Hupe über die Straße. Wie kam es eigentlich, überlegte Jenn, dass die dümmsten Fahrer immer die schönsten Autos fuhren? Hatten die alle einen Autofetisch und wollten deshalb nicht den kleinsten Kratzer riskieren? Oder mussten sie ihren Minderwertigkeitskomplex hinter einer Luxuskarre verstecken?
Egal. Sie kam jetzt schon seit Jahren ohne Auto aus, und sie vermisste es kein Stück.
Jenn schlenderte quer über die Straße Richtung Osten. Zu Highschool-Zeiten war sie hier, an der Ecke Clark und Belmont, oft mit ihren Freundinnen unterwegs gewesen, um in Kifferläden und Secondhandshops abzuhängen und ein bisschen auf Straßenpunk zu machen. Damals waren hier Irokesenschnitte an der Tagesordnung gewesen, und jeder Zweite trug eine Motorradjacke. Heute reihte sich eine Edelboutique an die andere, und der alte Armeeladen war zu einem mehrstöckigen Chromgebilde umgebaut worden, das der neuesten Ausgabe von Architectural Digest entsprungen zu sein schien. Nicht dass sie sich daran gestört hätte, aber sie vermisste das alte, schäbige Flair. Schon damals war das Viertel nicht wirklich gefährlich gewesen, aber man konnte sich doch ein bisschen härter fühlen, als man war.
Apropos …
Wieder erwischte sie der Gedanke völlig unvorbereitet. Seit Alex mitten in der Nacht bei ihr aufgetaucht war und sie mit Argumenten und Plänen überschüttet hatte, zog es ihr regelmäßig den Boden unter den Füßen weg – sie wickelte ihren Alltag ab, hing am Telefon, half einem Pärchen bei der Planung seiner Flitterwochen, genoss die Sonnenstrahlen, die durchs große Fenster fielen, und plötzlich: Zack! Plötzlich ging ihr auf, dass sie schon morgen eine Maske übers Gesicht streifen und eine Pistole in die Hand nehmen würde.
Und jedes Mal spürte sie dann dieses Kribbeln, das ihre Wirbelsäule hinaufkroch. Natürlich war dieses Gefühl ein wenig beängstigend, aber auf eine durchaus aufregende und angenehme Weise. Genauso, wie es ihr manchmal lieber war, wenn ein Typ nicht zärtlich war, wenn er sie nicht sanft berührte, wenn er ihr keine liebevollen Worte ins Ohr flüsterte. Manchmal wollte sie mit dem Gesicht nach unten auf die Matratze gepresst werden, manchmal wollte sie spüren, wie er ohne Rücksicht auf Verluste in sie eindrang, während er sie mit einer Hand an der Hüfte und mit der anderen an den Haaren packte. Manchmal wollte sie es roh und hart und ursprünglich, ohne diese ganzen Nettigkeiten. Manchmal wollte sie, dass er sie auf dem Bett quer durch den Raum vögelte, bis die Bücher aus dem Regal fielen. Wahrscheinlich kein besonders feministischer Ansatz,
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