Der Ausloeser
im Flur bis zum flauschigen Teppich unter dem Bett.
Ian nickte Mitch zu. »Soll ich dich mitnehmen?«
»Nein, ich bleibe lieber hier. Falls Alex anruft.« Mitch zögerte und suchte ihren Blick. »Wenn das für dich in Ordnung ist.«
»Klar, kein Problem«, antwortete sie. Und tatsächlich – sie war froh, dass er blieb.
»Alles klar. Dann also bis morgen.« Damit ratterte Ian die Treppe hinunter. Jenn blickte ihm hinterher, mit Mitch an ihrer Seite, wie ein Pärchen nach einer Dinnerparty beim Abschied von den letzten Gästen. Erst als Ian verschwunden war, sagte sie: »Was hatte das eben zu bedeuten?«
»Was?«
»Dass er keine Dummheiten machen soll.«
»Ach, das …« Zuerst schien ihm die Frage unangenehm zu sein, doch dann zuckte er die Schultern. »Egal, wahrscheinlich solltest du es sowieso erfahren. Er war high.«
» High? Wann? Heute Abend?«
»Ja. Er hatte gekokst. Deshalb war er so nervös.«
»Du willst mich doch verarschen.«
Mitch schüttelte den Kopf. »Leider nein. Er hat mir davon erzählt – dass er sich das Zeug ab und zu reinpfeift. Wahrscheinlich rennt er deshalb ständig zur Toilette. Aber ich hätte nie gedacht, dass er ausgerechnet heute Abend … Ich hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht.«
»Ian war high. Mein Gott.« Sie schloss die Tür. Als sie sich ansahen, entstand eine unangenehme Stille, bis Jenn zur Seite blickte und murmelte: »Wir machen uns nicht besonders gut, was?«
»Du meinst, als Kriminelle? Nein. Aber wir dürfen auch nicht zu streng mit uns sein. Ist doch unser erstes Mal.«
Wieder trafen sich ihre Augen, und diesmal blickte sie nicht zur Seite. Plötzlich musste sie kichern, und er stimmte in ihr Lachen ein. Er hatte ein schönes Lachen, ein völlig unbefangenes Lachen aus der Tiefe seines Körpers. Sie schaukelten sich gegenseitig hoch, lachten viel zu lange in Anbetracht des doch eher mittelmäßigen Scherzes. Ein gutes, befreiendes Gefühl. Was sie getan hatten, lastete nicht mehr ganz so schwer auf ihren Schultern, und Jenn wurde bewusst, dass sie trotz allem immer noch am Leben war. Ja, sie konnte sich nicht erinnern, sich in den letzten zehn Jahren jemals so lebendig gefühlt zu haben wie in diesem Moment. Wie hatte ihr Vater immer gesagt? Jeder Tag über der Erde ist ein guter Tag. »Wodka?«, fragte sie.
»Eine hervorragende Idee.«
Sie ging voraus in die Küche, schaltete das Licht ein und zog eine weißlich beschlagene Flasche Smirnoff aus dem Tiefkühlfach. Zwei Gläser, zwei Eiswürfel, zwei großzügig bemessene doppelte Wodka. »Prost.« Der erste Schluck glitt eiskalt ihre Kehle hinunter, brannte in ihrem Rachen, und fühlte sich einfach nur großartig an.
Auf ihren Armen bildete sich eine Gänsehaut, denn die Klimaanlage lief, und sie trug nur das dünne Kleid. Ja, das Einkaufen für den großen Abend hatte richtig Spaß gemacht. Wie sie ihre Rolle durchgespielt hatte, wie sich ihr Blick auf das Leben geschärft hatte, wie auf einmal jedes Detail relevant gewesen war. Noch am Nachmittag hatte sie im Schlafzimmer vor dem Spiegel gestanden und sich rausgeputzt, und ihr hatte gefallen, was sie gesehen hatte – keine Frau über dreißig mit einem beschissenen Job und keinerlei Plänen für ihr Leben. Sondern eine Femme fatale in einem gewagten Kleid mit einem derart tiefen Ausschnitt, dass an einen BH gar nicht zu denken war, eine Herzensbrecherin auf dem Weg zu ihrem ersten Raubüberfall. Nach einer Weile hatte sie das Kleid hochgekrempelt, die Daumen unter den Slip geschoben und das Ding ausgezogen. Noch immer spürte sie, wie die Luft zwischen ihre nackten Oberschenkel gestrichen war – ein elektrisierendes Gefühl. In diesem Moment hatte sie gelebt, absolut gelebt.
»Deine Wohnung gefällt mir«, meinte Mitch.
»Danke.« Noch ein Schluck Wodka. »Mir auch.«
Er nickte und blickte sich um. Ihm war anzusehen, dass er überlegte, was er als Nächstes sagen sollte. »Wohnst du schon lange hier?«
»Ungefähr fünf Jahre. Davor hab ich bei Brian gewohnt. Hast du den eigentlich mal kennengelernt? Nein, oder? Na ja, und davor mit ein paar Freundinnen. Aber als es dann mit Brian zu Ende ging, hatte ich endgültig genug. Ich brauchte was eigenes, ich musste mein eigenes Ding durchziehen. Kennst du das?«
»Glaube schon.«
»Wohnst du nicht gern allein?«
»Doch, ist schon okay.« Nach einem kurzen Zögern zuckte er die Achseln. »Nur manchmal ein bisschen einsam.«
»Stimmt schon. Aber ich finde, es gibt auch eine positive Form von
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