Der Ausloeser
das beinahe auftaucht, um sofort wieder in der Dunkelheit zu verschwinden. Er atmete durch die Nase ein. »Ich hab’s für dich getan.«
»Das können wir nie mehr rückgängig machen. Wir haben das getan, wir, und wir können es nie mehr rückgängig machen.«
»Wir haben es so gewollt. Wir haben uns dafür entschieden.«
»Nein. Nein, nicht dafür.« Im gleichen Moment fragte eine Stimme in ihrem Kopf: Sicher? Wenn du die Zeit um eine Woche zurückdrehen könntest, zurück in dein früheres Leben, in das Leben, wo nichts wirklich wichtig war, wo du alles auf Abstand gehalten hast – würdest du es tun?
Ja , dachte sie, ja. Glaube ich zumindest.
»Komm her«, sagte er, trat einen Schritt vor und nahm sie in den Arm. Zuerst rührte sie sich nicht, obwohl es ein unglaublich gutes Gefühl war, festgehalten zu werden, obwohl es ihr Trost spendete und das Grauen wenigstens zum Teil vertrieb. Nach ein paar Sekunden schob sie ihre Arme unter seine Arme und weiter auf seinen Rücken, vergrub ihr Gesicht in seiner Brust und schloss die Augen. Sie sog seinen Geruch ein, nahm einen Hauch von Schweiß wahr. Ihre Nase lief, ihre Augen waren nass.
»Schon gut«, flüsterte er. »Alles wird gut. Das versprech ich dir.«
Sie lachte, ein hohles, leeres Lachen, bevor sie die Nase hochzog, einen Schritt zurücktrat und sich mit dem Handrücken übers Gesicht wischte. »Gott, ich komme mir so was von dumm vor. Ich bin schon eine tolle Abenteurerin.«
»Tu das nicht.«
»Es ist nur …« Sie griff nach ihrem Glas und nahm einen tiefen Schluck. »Ich hab euch das noch gar nicht erzählt, aber … In der Gasse, bevor ihr gekommen seid, haben wir uns ein paar Minuten unterhalten. Der Typ und ich.«
»Ihr habt euch unterhalten? Was hast du gesagt?« Er sah sie an. Im Neonlicht trat der Kontrast zwischen seiner blassen Haut und seinem schwarzen Haar noch schärfer hervor.
»Ich wollte ihn loswerden. Erst dachte ich, er würde nur einen Parkplatz suchen, und hab ihn gebeten, seinen Wagen woanders zu parken. Aber dann ist mir klargeworden, wer das ist, und ich … Ich konnte einfach nicht … Ich wusste nicht, was ich tun soll. Bis ich dann gedroht hab, ihn als Vergewaltiger hinzustellen, und das hat auch ganz gut geklappt, aber da wart ihr auch schon da.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich hab’s verbockt.«
»Für mich hört sich das ganz anders an. Du hast dich gut geschlagen. Wir haben’s verbockt.«
»Nein, verstehst du denn nicht? Ich hatte eine Chance. Wär ich nur ein bisschen schneller gewesen, wär er nicht mehr dagewesen. Ich hatte eine klitzekleine Rolle zu spielen, und das hätte ich schaffen … Ich hätte irgendwas tun müssen, aber im entscheidenden Moment – hab ich gar nichts getan.«
»Das stimmt doch gar nicht. Du hast dich dem Typen gestellt. Du hast mit ihm gesprochen. Oder etwa nicht?«
»Doch.«
»Obwohl du wusstest, wer er war, dass er wahrscheinlich eine Waffe dabeihatte. Du bist nicht zurückgewichen, sondern hast dich mit ihm angelegt, um uns den Rücken frei zu halten. Du hast getan, was du konntest. In einer düsteren Gasse und in diesem …« Er musterte sie von Kopf bis Fuß. »… Kleid.«
»Ja, aber …«
»Das war verdammt mutig von dir.«
Mit diesem Satz hatte sie am wenigsten gerechnet. Sie schaute auf, in sein Gesicht – aber er lächelte nicht schlitzohrig, hatte nicht diesen distanziert-spielerischen Gesichtsausdruck, wie sie es so oft bei Alex gesehen hatte. Nein, er erwiderte ihren Blick voller Aufrichtigkeit, er betrachtete sie mit großen, ruhigen Augen.
Ohne weiter nachzudenken, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Sie spürte die blauschwarzen Bartstoppeln, sie roch einen letzten Rest Aftershave. Und sie bemerkte, wie sich sein Körper anspannte, wie sich jeder einzelne Muskel verkrampfte, obwohl sie ihn kaum berührt hatte. Hatte sie etwas falsch gemacht? Sie wich zurück. »Tut mir leid.«
»Nein.« Sanft legte er ihr eine Hand auf den Arm. Sein Gesicht schwebte Zentimeter vor ihrem, so nah, dass ihre Augen ihn kaum fixieren konnten. Sie sah, wie er mit sich rang, bis er kaum hörbar flüsterte: »Jenn …«
So viel Gewicht hatte noch niemand in ihren Namen gelegt. Aus seinem Mund klang die eine, einzelne Silbe wie zarte, melancholische Musik, unfassbar einsam und schön, und genau das wollte sie, genau das wollte sie sein , und im nächsten Moment nahm er ihr Gesicht zwischen die Hände, fuhr ihr mit den Fingern
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