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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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haben.«
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    »Schön wär’s. Das wäre in diesem Geschäft nützlicher als mittelalterliche Geschichte.« Sie hielt inne. »Sie ist ein interessanter Mensch. Kennen Sie sie schon lange?«
    »Nein, eigentlich nicht.« Er schob die Mütze hin und her, bis der Schirm bequemer in seinem Nacken saß. »Es kommt mir nur so vor.« Er lächelte über Sashas Gesichtsausdruck. »Das war ein Kompliment. Sie zieht die Menschen, die ihr begegnen, in ihren Bann – beeinflusst sie ungemein.«
    »Ja, solche Menschen gibt es. Louise Burton gehört auch zu ihnen.«
    »Glauben Sie?«, fragte Jonathan neugierig. »Auf mich macht sie eher den Eindruck, als ließe sie sich von allen zum Spielball machen.«
    Sasha zuckte mit den Schultern. »Wieso wollen dann alle sie beschützen? Ihr Bruder – Roy Trent –vielleicht sogar Nicholas Fletcher. Wieso möchte Ihr Agent gern glauben, dass sie die Wahrheit sagt?
    Sie muss etwas an sich haben, mit dem sie andere becirct. Sie haben selbst gesagt, dass Sie ihr trauten. Erst als Sie bemerkten, dass Ihre Brieftasche weg war, kamen Ihnen Zweifel.«
    »Ja, Männer scheinen auf sie zu fliegen«, sagte er zynisch. »Aber Miss Brett würde Ihnen nicht zustimmen. Sie mochte sie überhaupt nicht.«
    »Aber sie hat sie nicht so drastisch bestraft wie Cill«, entgegnete Sasha.
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    George bekam die letzten Sätze der Unterhaltung mit, als sie mit dem Teetablett herauskam. »Cill war damals – bevor es zu der Vergewaltigung kam – schon weggelaufen und ist wieder umgekehrt, um Louise zu helfen«, erinnerte sie Jonathan und setzte sich wieder. »Das lässt doch vermuten, dass sie meinte, Louise sei weniger wehrhaft als sie. Schwäche kann in gewissen Situationen eine Stärke sein, besonders wenn sie dazu benutzt wird, die Gefühle anderer zu manipulieren.«
    »Howard und Grace sind damit aber nicht weit gekommen«, sagte er.
    »Nein«, stimmte sie zu. »Die beiden waren ja auch nicht im Geringsten manipulativ.«
    »Und Louise ist es?«
    »Sie hat Sie doch sehr erfolgreich beschwatzt, ihr Ihre Aktentasche zu zeigen – und ebenso erfolgreich hat sie sich bei Andrew eingeschmeichelt.«
    Sie hob den Zeigefinger. »Sie hatte einen guten Lehrmeister, Jon. Niemand ist manipulativer als Väter, die ihre Kinder missbrauchen, und kaum jemand besitzt weniger Moralgefühl. Ein tödliches Vorbild für ein Kind. Das müssten Sie doch am besten wissen.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass ich manipulativ bin?«
    George lachte leise. »Sie könnten ein Buch darüber schreiben, mein Lieber.«
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    Louise zündete sich eine Zigarette an. »Sag du mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe, Roy. Du hast mir verdammt noch mal keine Vorschriften zu machen. Ihr bildet euch alle ein, ihr hättet mich in der Tasche wegen dem, was passiert ist – aber es ist genau umgekehrt, ich hab euch in der Tasche!«
    Sie trat von ihm weg. »Wenn du wüsstest, wie ähnlich du meinem Vater bist, Schätzchen. Mein liebes, kleines, süßes Baby, ich hab dich sooo lieb – los, mach schon, gib mir endlich, was ich will, sonst prügle ich dich windelweich.« Verachtung blitzte in ihren Augen. »Für mich war er der liebe Gott, bis er angefangen hat, Cill zu begrapschen … da ist mir aufgegangen, was für ein dreckiger Widerling er war – und ich habe ihn gehasst. Alles war okay, als er sagte, er hätte mich lieber als meine Mutter.
    Nichts war mehr okay, als er sagte, Cill hätte er am liebsten.«
    Roy kannte das alles in- und auswendig. Jedes Mal, wenn sie zugedröhnt oder betrunken war, kramte sie die schmuddeligen Familiengeheimnisse aus, beschmutzte sich selbst und beschmutzte ihn damit. Manchmal fragte er sich, ob er sich in diese selbstmörderisch symbiotische Beziehung hätte hin-einziehen lassen, wenn sie ihm damals mit dreizehn die Wahrheit gesagt hätte, aber er war immerhin so ehrlich, sich einzugestehen, dass es auch dann nicht anders gekommen wäre. Dieser Wahnsinn, der in jenem tödlichen Mai 1970 über sie alle gekommen 593

    war, war das Produkt von Alkohol und Selbstekel gewesen. Unter anderen Umständen wären die Probleme eines mageren kleinen Mädchens, das für sie keinerlei Anziehungskraft besaß, gar nicht beachtet, geschweige denn verstanden worden.
    Sie hatte Recht mit ihrer Behauptung, ihn und die anderen in der Tasche zu haben. Seit mehr als drei-
    ßig Jahren forderte sie das Schicksal heraus. Dass sie noch lebte, hatte sie nur dem Heroin zu verdanken. Solange sie von einem Schuss zum nächsten gewankt war,

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