Der Außenseiter
hätte außerdem gesagt: ›Der Teufel ist eine Frau.‹ Ist er verheiratet? Hat er Eheprobleme?«
Andrew schüttelte den Kopf. »Er hatte eine feste Freundin, aber die beiden haben sich nach Weihnachten getrennt. Ich glaube nicht, dass es ihm sehr zu schaffen gemacht hat. Das war nichts Ernstes.«
»Ist er Moslem?«
»Nein.« Der dicke kleine Mann lächelte. »Und diese Frage ergibt sich auch nicht automatisch aus der Bemerkung ›Der Teufel ist eine Frau‹, Sergeant.
Soweit ich weiß, besagt die islamische Lehre nicht, dass der Satan einen Rock trägt. Die Moslems glauben das Gegenteil: Das Problem ist der Teufel im Mann. Darum verhüllen sich ihre Frauen.«
Der Sergeant war nicht beeindruckt. »Hat dieser Falstaff Probleme mit Frauen?«
Andrew zeigte sich plötzlich interessiert. »In der Oper auf jeden Fall. Verdis Vorlage war wie gesagt Shakespeares Die lustigen Weiber von Windsor.
In dem Stück wird Falstaff als komische Figur gezeichnet. Er verliert sein ganzes Geld, und um seine Finanzen aufzubessern, plant er, die reichen Weiber von Windsor zu verführen. Als die Frauen 182
dahinter kommen, wird er von ihnen auf demüti-gende Weise bestraft.«
»Wie denn?«
»Klamaukgeschichten. Ich habe das Stück schon länger nicht mehr gesehen, aber soweit ich mich erinnere, werfen sie ihn in einen Fluss und lassen ihn dann in Verkleidung Spießruten laufen. Es ist das alte Thema. Die Frauen machen ihm schöne Augen – mit anderen Worten, sie versetzen ihn in Erregung –, und wenn er glaubt, er könnte landen, geben sie ihm eins auf die Finger. Es ist eine Geschichte von eingebildeten Männern und resoluten Frauen, die sich über die Männer lustig machen. Die Moral lautet, dass Frauen den Männern intellektuell und moralisch überlegen sind.«
Der Sergeant knurrte abfällig, als gefiele ihm diese Ansicht nicht. »Ziemlich aktuell also. Das ist doch das Einzige, worum es heutzutage geht.«
Andrew widersprach nicht. »Es war immer aktuell. Es ist der Kampf der Geschlechter … die Männer kommen vom Mars und die Frauen von der Venus. Die menschliche Natur ändert sich nicht. Wir können unsere DNA analysieren, E-Mails um die ganze Welt schicken, Herzen ver-pflanzen – aber das Grundlegende bleibt unver-
ändert. Männer jagen, und Frauen kümmern sich um die Familie. So einfach ist das. Shakespeares Beobachtungen sind heute noch so zutreffend wie vor vierhundert Jahren, als er sie aufgezeichnet 183
hat. Er war Verhaltenswissenschaftler, noch ehe die Verhaltenswissenschaft erfunden wurde …«, er hielt einen Finger in die Luft und dann einen zweiten, »und er war ein genialer Psychologe, der die Beziehungsdynamik wirklich durchschaute – das gilt besonders für die Mann-Frau-Beziehung.«
»Hm.«
»Tut mir Leid«, sagte Andrew. »Wenn’s um Shakespeare geht, geht manchmal die Begeisterung mit mir durch.«
»Ich hab nur Hamlet gesehen. Irgendjemand hat mir erzählt, das ganze Stück könnte auf die Rede über den Selbstmord eingedampft werden. ›Sein oder Nichtsein.‹ Stimmt das?«
»Nun ja, er ist zweifellos ein Mann, der seine eigene gequälte Persönlichkeit mit aller Gründlich-keit erforscht. In dieser Hinsicht ist das Stück ein Vorläufer modernen Theaters.«
Sergeant Lovatt beobachtete Jonathan durch das Fenster. »Leidet Mr. Hughes an einer gequälten Persönlichkeit?«
Andrews Blick folgte dem seinen. »Leiden wir daran nicht alle?«
»Na ja, manche mehr und manche weniger, neh-
me ich an«, meinte der andere. »Hat er schon mal psychische Probleme gehabt, wissen Sie das?«
Unzählige, dachte Andrew. Neid … Groll … Un-
sicherheit … Selbstekel … genau wie sein Agent und jede andere arme Seele auf diesem Planeten, 184
die die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnte. »Nein«, antwortete er. »Warum fragen Sie?«
»Ihr Freund hat sich der Festnahme widersetzt und lehnt jede Erklärung ab. Es würde uns interessieren, warum.«
»Vermutlich, weil er der Überzeugung ist, nichts Unrechtes getan zu haben. Er schreibt Bücher über die Tücken sozialer Klischeevorstellungen und das Versagen des Strafrechtswesens – wenn alle in einen Topf geworfen werden und der Einzelne gar nicht mehr berücksichtigt wird. Ich vermute, er ist der Auffassung, da Sie ihm nichts zur Last legen, hätte er gar nicht erst festgenommen werden dürfen.«
Der Sergeant schüttelte den Kopf. »An der Festnahme gibt es nichts auszusetzen, Sir. Mr. Hughes wurde ordnungsgemäß festgenommen,
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