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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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Dr. Hughes – hatte seine Beziehungen spielen 188

    lassen, um dem Jungen ein Universitätsstipendium zu verschaffen, ich kann mir gut vorstellen, dass sein Tod ihn ziemlich hart getroffen hat.«
    »Wie kann er sich das vom Gehalt eines Universitätsdozenten leisten?«
    »Was?«
    »Reisen nach Amerika, Paul-Smith-Anzüge, Ver-sace-Hemden, Opernkarten, Armani-Brillen. Was für Bücher schreibt er? Bestseller?«
    Andrew zögerte einen Moment. »Das nicht gera-
    de. Er ist alleinstehend und braucht für niemanden zu sorgen.«
    »Er lebt auf großem Fuß, Mr. Spicer. Gehört ihm die Wohnung?«
    »Keine Ahnung.«
    »Hat er Ihres Wissens noch andere Einkünfte?«
    »Nein.« Er sah dem Sergeant forschend ins ausdruckslose Gesicht. »Was wollen Sie andeuten?«
    »Wir leben in unsicheren Zeiten, Mr. Spicer.«
    Andrew lachte. »Wenn Sie glauben, dass er so was wie ein Terrorist ist, sind Sie völlig auf dem Holzweg. Er hasst Gewalt.«
    Der Sergeant gestattete sich ein dünnes Lächeln.
    »Lebt er allein, Sir?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Miete und Hypotheken sind in Kensington nicht billig, Mr. Spicer.«
    Dieser Polizeibeamte besaß eine ausgeprägte Fähigkeit, sich neues Wissen einzuverleiben, dachte 189

    Andrew, während er beobachtete, wie Jonathan seine Designerbrille abnahm, so dass man sehen konnte, wie rot seine Augen waren, und mit dem Ende seiner Krawatte die Gläser putzte. Sein unbewegtes Gesicht wirkte hager im grellen Licht, und die Schultern waren so knochig und steif, dass sie an einen Kleiderbügel erinnerten. Andrew hatte Jon immer ambivalent gegenübergestanden. Ihre Freundschaft gründete auf beiderseitiger Sympathie und einem gemeinsamen Interesse an Literatur und gutem Wein.
    Aber Andrew verachtete Jonathans angenommenen Akzent, seinen Snobismus und vor allem seine Lügen. Bis zu diesem Tag hatte er nie Anlass gehabt zu glauben, sie seien mehr als Verhüllung für seine Unsicherheit, aber jetzt fragte er sich, ob es wirklich so war. Jedenfalls war die Verhüllung in den letzten Monaten immer fadenscheiniger geworden.
    Er wandte sich wieder dem Polizisten zu. »Der Anzug ist so abgetragen, dass man sich in den Ellbogen spiegeln kann, und die Brille ist reines Theater. Ich bin nicht sein Banker und weiß daher nicht, wie er mit seinem Geld umgeht, aber es würde mich nicht wundern, wenn er völlig verschuldet ist. Für jemanden wie Jon sind eine Wohnung in Kensington und Opernkarten wahrscheinlich die Zinsen auf einen Kredit wert.«
    »Wieso?«
    »Es gibt Menschen, die müssen ein falsches Bild von sich verbreiten. Mit einem Besuch von Verdis 190

    Falstaff kann man sich sehen lassen, mit einem leeren Kühlschrank nicht.« Er bemerkte die Skepsis im Blick des Sergeant, aber er hätte nicht sagen können, ob sie Jonathans Dummheit galt, Geld für die Oper zu verschwenden, oder Andrews Analyse.
    »Ich weiß nicht, wie Terroristen operieren, aber ich nehme an, die erste Regel lautet, nicht auffallen.
    Würden Sie Amoklaufen als unauffälliges Verhalten beschreiben?«
    Der Sergeant zuckte mit den Schultern. »Wir haben ihn vom Arzt auf Alkohol und Drogen untersuchen lassen. Er meint, dass Mr. Hughes einem Nervenzusammenbruch nahe ist. Ich bin auch kein Experte, was Terroristen angeht, Mr. Spicer, aber ich stelle mir vor, so etwas stürzt einen in ein seelisches Chaos – vor allem, wenn der eigene Tod zum Verfahren gehört.«
    Dagegen konnte Andrew nichts einwenden. »Ich
    halte es für wahrscheinlicher, dass der Einsturz seines Lügengebäudes bevorsteht. Vielleicht ist die Trennung von seiner Freundin die Ursache – vielleicht war die Beziehung ernster, als ich dachte.«
    Er hielt inne, als ihm eine Bemerkung einfiel, die Jon nach der Trennung von Emma gemacht hatte. Ich konnte sie nicht so lieben, wie sie es sich wünschte … »Er ist kein Mensch, der leicht zu verstehen ist. Was er denkt und fühlt, verschließt er größtenteils in seinem Inneren.«
    »Weiter.«
    191

    »Ich vermute, es begann in Oxford. Ich kannte ihn damals noch nicht so gut, er gehörte zu einer schickeren Clique als ich. Es ist alles so affektiert dort – oder kann es jedenfalls sein«, verbesserte er sich. »Dieser ganze Mythos von verträumter Idylle und jeunesse dorée … Für einen Zyniker wie mich ist das nichts als prätentiöser Quatsch – es korrum-piert –, aber für jemanden, der aus den falschen Kreisen kommt, ist es verführerisch.«
    »Er hört sich aber nicht an wie einer aus den falschen Kreisen.«
    »Das ist ja ein

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