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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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hatte.
    Nach Meinung des Arztes, den man geholt hatte, um Jonathan Hughes auf Drogen und Alkohol zu
    untersuchen – beides mit negativem Resultat –, waren weitere Untersuchungen notwendig. Der Mann war eindeutig krank. Man belehrte Jonathan über sein Recht, ein Krankenhaus aufzusuchen, aber 178

    da er sich hartnäckig in Schweigen hüllte und sowohl medizinische Hilfe als auch die Zuziehung eines Anwalts ablehnte, blieb nichts anderes übrig, als mit Andrew Spicer Kontakt aufzunehmen, dem Literaturagenten, dessen Name und Adresse sich auf mehreren Briefen in Jonathan Hughes’
    Aktentasche befanden. Man versuchte zunächst, die Stadträtin Gardener zu erreichen, aus deren an Hughes gerichtetem Schreiben hervorging, dass sie zum Mittagessen im Crown and Feathers mit ihm verabredet gewesen war, aber die Anrufe landeten alle bei einem automatischen Anrufbeantworter.
    Ebenso erfolglos waren Anrufe beim Pub, das erst um halb sechs Uhr abends wieder öffnen würde.
    Ob der Mann denn ernstlich krank sei? Vielleicht kurz vor dem Tod? Es sei eher eine psychische als eine körperliche Sache, erklärte der Arzt, also kaum ein Notfall. Sobald Andrew sich bereiterklärt hatte, aus London zu kommen, verlor die Polizei das Interesse. Sie hatte Wichtigeres zu tun. Von einem tränenseligen Araber, der in sicherem Gewahrsam saß, ging weit weniger Gefahr aus als von ungeduldigen Autofahrern auf eisglatten Straßen.
    Als Andrew schließlich um halb neun eintraf, müde und hungrig, nachdem er auf dem M3 im Stau gesessen hatte, zeigte man ihm Jonathan durch einen Zweiwegespiegel. »Kennen Sie diesen Mann?«, fragte ihn ein Sergeant in Uniform, der sich als Fred Lovatt vorstellte.
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    »Ja.«
    »Wer ist er?«
    »Jonathan Hughes.«
    »In was für einer Beziehung stehen Sie zu ihm?«
    »Ich bin sein Literaturagent.«
    »Wie lange sind Sie mit ihm bekannt?«
    Andrew knöpfte sein Jackett auf und deutete auf einen Stuhl. »Darf ich mich setzen? Ich habe seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, und ich bin hundemüde.« Als der Sergeant nickte, ließ er sich ohne weitere Umschweife auf den Stuhl plumpsen.
    »Was hat er angestellt?«
    »Bitte beantworten Sie die Frage, Mr. Spicer.«
    »Wir kennen uns seit zwölf – nein, dreizehn Jahren.
    Wir waren zusammen in Oxford, aber wir kamen
    uns erst näher, als er mir zweiundneunzig sein erstes Manuskript brachte. Seitdem sind wir befreundet.«
    »Was ist er von Beruf?«
    »Er ist Dozent für europäische Anthropologie an der Universität London. Und er ist ein guter Lehrer, der von seinen Studenten sehr geschätzt wird, weil er sich die Mühe macht, seinen Unterricht interessant zu gestalten.«
    Der Sergeant holte einen zweiten Stuhl. »Und warum hat er uns das nicht gesagt? Bekäme er denn Probleme, wenn wir uns zur Bestätigung seiner Angaben an die Universität wenden würden?«
    Andrew betrachtete durch das Glas das Gesicht seines Freundes. »Was werfen Sie ihm denn vor?«
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    »Gar nichts bis jetzt.«
    »Warum halten Sie ihn dann fest?«
    »Weil er eine Straftat begangen hat und sich weigert, Fragen dazu zu beantworten. Er wird erst auf freien Fuß gesetzt, wenn wir das mit gutem Gewissen tun können.«
    »Was für eine Straftat?«
    Sergeant Lovatt warf einen Blick auf ein Blatt Papier. »Er ist auf dem Hauptbahnhof Amok gelaufen, hat Passagiere angerempelt und herumge-schrien, er wäre Fall Staff oder so ähnlich – kann das sein?« Er zog die Augenbrauen hoch. »Er will uns nicht erklären, was das heißen soll. Haben Sie vielleicht eine Ahnung, Sir?«
    Andrew runzelte die Stirn. »Das ist eine Oper von Verdi. Sie wird heute Abend in Covent Garden gegeben. Falstaff … Sir John Falstaff – er ist eine komische Figur aus Shakespeares Die lustigen Weiber von Windsor und kommt auch im ersten und zweiten Teil von Heinrich IV. und in Heinrich V. vor. Er ist ein Dickwanst und Prahlhans voller Begierden.«
    Der Sergeant sah mit zweifelndem Blick zu Jonathan hinüber, dem das Hemd von den mageren Schultern hing. »Warum sollte Mr. Hughes behaupten, dieser Dickwanst zu sein?«
    »Ich glaube nicht, dass er behauptet hat, Falstaff zu sein. Vermutlich hat er gesagt, er wolle in Falstaff gehen. Er ist ein Opernfan. Er hat mir 181

    erzählt, dass er eine Karte für die Vorstellung hat –deswegen ist er schon gestern Abend nach Hause geflogen.«
    Lovatt schaute wieder auf das Blatt Papier hinunter. »Den Zeugen zufolge hat er gesagt, ›Ich bin Falstaff‹. Einer von ihnen behauptet, er

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