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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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bedrückend.
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    Louise durfte wegen ihrer Ohnmachtsanfälle zu Hause bleiben, aber Billy musste zur Schule gehen. Er wurde von Neid und Eifersucht auf seine Schwester geplagt, die ständig mit der Mutter zusammen war, und fürchtete sich vor seinem miss-gelaunten Vater, der ihn jedes Mal wütend anfuhr, wenn er fragte, was los sei. Die Trevelyans spielten die Hauptrolle in den Schimpfkanonaden seiner Eltern. Wenn es nicht um »dieses kleine Flittchen, diese Cill« ging, die Louise das Leben zur Hölle gemacht habe, dann um »David, den Mistkerl«, der versuchte, seinen Vater bei Brackham & Wright
    »rauszudrängen«. Grace Jefferies wurde höchstens einmal indirekt erwähnt. »Seit dem Mord an dieser verdammten Alten will jeder in dieser Straße nur noch wegziehen …«
    Mit dem Umzug nach Boscombe glätteten sich allmählich die Wogen. Ihr Vater nahm eine neue Stellung an, Louise änderte Frisur und Namen, sie nannte sich fortan Daisy, und Billy fand neue Freunde. Nur ihre Mutter schien die Last aus Highdown mitgeschleppt zu haben und schaute, wenn es an der Tür läutete, immer erst hinter dem Vorhang versteckt zum Fenster hinaus. Hin und wieder glaubte Billy, in einer Menschenmenge ein Gesicht zu erkennen, aber nach ein, zwei Jahren hörte auch das auf. Die Ereignisse dreier kurzer Wochen im Leben eines Zehnjährigen – der diese Ereignisse nicht einmal recht verstanden und kei-352

    nerlei Einfluss auf sie gehabt hatte – verblassten und wurden belanglos. Er konnte ja nichts dafür, dass Cill verschwunden und Mrs. Jefferies ermordet worden war.
    »Wenn 1970 schon DNA-Vergleiche möglich gewesen wären, Mr. Burton, wäre Howard gar nicht erst angeklagt worden, geschweige denn verurteilt.
    Grace Jefferies wurde von jemand anderem getötet …«
    »Grace’ Mörder hatte rotblondes Haar.«
    George nahm die Fotografien von Priscilla Fletcher und Cill Trevelyan aus ihrem Köfferchen und reichte Hilda Brett die, die Priscilla Fletcher zeigte. »Könnte das Cill Trevelyan sein? Erinnern Sie sich ihrer gut genug, um dazu eine Meinung zu äußern?«
    Die alte Frau betrachtete das Bild lange, ehe sie den Kopf schüttelte. Sie räumte ein, dass das Gesicht ihr vage bekannt vorkomme, aber, sagte sie, sie habe das Kind vor mehr als dreißig Jahren das letzte Mal gesehen und erinnere sich im Grunde nur an langes braunes Haar und einen gut entwi-ckelten Körper. George zeigte ihr die Kopie des Zeitungsfotos von Cill, und Hilda Brett reagierte wie William Burton. »Ach, Gott, ach, Gott! Ich hatte ganz vergessen, wie jung sie war. Wie tragisch!«
    »Glauben Sie, dass es sich hier um dieselbe Person handelt?«
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    Sie verglich die beiden Bilder. »Dazu kann ich wirklich nichts sagen. Einige meiner ehemaligen Schüler haben sich mit dem Erwachsenwerden kaum verändert, andere sind nicht wiederzuerken-nen. Es gibt da zweifellos einige starke Ähnlichkeiten …« Wieder schüttelte sie den Kopf.
    »Wir dachten, es könnte vielleicht Louise Burton sein«, bemerkte George.
    Hilda Brett lachte kurz auf. »Lieber Gott, nein, ganz sicher nicht. Louise war ein wieseliges kleines Ding mit spitzem Gesicht und ebenso spitzer Nase.
    Deswegen hängte sie sich ja an Priscilla – ich vermute, sie hoffte, etwas von deren besonderem Reiz würde auf sie abfärben.« Sie starrte auf Cills lächelndes Gesicht. »Sie konnte einem beinahe Leid tun, wissen Sie. Sie hatte eine Phase, da versuchte sie mit allen Mitteln, Priscilla nachzuahmen, im Aussehen, in ihrer Art, sich zu geben, aber sie wirkte nur wie eine misslungene Karikatur. Es war natürlich eine völlig einseitige Freundschaft. Auf Louises Seite war eine Menge Neid und Eifersucht.«
    »Was für eine Farbe hatten ihre Haare?«, erkundigte sich Jonathan.
    »Karottenrot«, antwortete Hilda Brett und reichte das Foto von Priscilla Fletcher zurück. »Das hier ist sie ganz sicher nicht.«
    Von hinten näherte sich ein schwarzer BMW Billys Renault und nahm Tempo weg. Billy erkannte in 354

    seinem Rückspiegel flüchtig eine dunkelhaarige Frau, dann bog der Wagen in die Auffahrt vor dem Haus der Fletchers ein. Er nahm die Brille ab und hob einen kleinen Feldstecher an die Augen, die er mit einer Hand beschattete.
    Er sah, wie die Autotür geöffnet wurde und die Frau ausstieg. Sie war schlank, trug eine elegante marineblaue Hose und dazu einen pinkfarbenen Kaschmirpulli. Das dunkle Haar reichte ihr knapp bis zur Schulter. Ihr Gesicht konnte er nicht erkennen, weil sie ihm den Rücken

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