Der Außenseiter
der dich heiratet.« Und er erinnerte sich auch, wie Cill mit tränenerstickter Stimme gesagt hatte:
»Wenigstens bin ich kein Feigling.«
Er hatte danach nie wieder mit Cill gesprochen.
Ihre Freundschaft mit Louise hatte abrupt ein 348
Ende gefunden, und einen Monat später war sie verschwunden. Einige Wochen des Unbehagens waren gefolgt, dann war seine Familie nach Boscombe umgezogen, und Cill war vergessen.
Billy hatte seine Schwester nie gefragt, warum sie der Polizei nicht gesagt hatte, dass er Zeuge der Vergewaltigung gewesen war. Mit zehn hatte er geglaubt, sie wolle ihm Schwierigkeiten ersparen, und hatte sie dafür geliebt. Jetzt, mit über vierzig, war er da nicht mehr so sicher.
»Grace’ Mörder hatte rotblondes Haar …«
Er erinnerte sich noch an den Tag, an dem die Polizei in die Mullin Street gekommen war. Er hatte geglaubt, es hätte mit Cill zu tun, bis ein unifor-mierter Polizist bei ihnen geläutet und ihnen mitgeteilt hatte, dass Mrs. Jefferies tot war. Seine Mutter hatte schon vorher nervös hinter dem Vorhang gestanden und die Polizisten beobachtet, die zu zweit von Haus zu Haus gingen. Als es läutete, hatte sie Billy in Louises Zimmer hinaufgeschickt, bevor sie die Tür geöffnet hatte. Billy erinnerte sich, dass ihre Hände gezittert hatten und er sich gewundert hatte, wieso sie solche Angst hatte.
Er hatte vor der Tür zu Louises Zimmer gestanden, um das Gespräch unten zu belauschen, und hatte gesehen, wie Louise blass wurde und Riesenaugen bekam. Die Stimme seiner Mutter war höher gewesen als normal, als sie erklärt, sie würde Mrs. Jefferies nicht kennen und wisse auch 349
nicht, in welchem Haus sie wohnte. Der Polizist zeigte es ihr – Nummer elf – und fragte, ob sie im Lauf der Woche jemanden kommen oder gehen gesehen hatte. Nein, sagte seine Mutter, aber sie sei auch kaum hinausgekommen. Sie habe sich um ihre Tochter gekümmert, die Cill Trevelyans beste Freundin gewesen sei. Der Polizist war teilnahms-voll. Er hatte selbst eine Tochter.
Man hatte sie nie wieder befragt. Innerhalb von zwei Tagen nach Auffindung von Grace’ Leiche war Howard Stamp verhaftet und unter Anklage gestellt worden, und der »Mord in der Mullin Street« war im Haus Burton so totgeschwiegen worden wie Cill Trevelyans Verschwinden. »Reg deine Schwester nicht auf«, war monatelang die Parole gewesen.
Was Billy über die beiden Ereignisse wusste, hatte er von Freunden erfahren, deren Eltern nichts dagegen hatten, auch über schlimme Dinge mit ihren Kindern zu sprechen. Über Cill hieß es, sie sei nach London durchgebrannt. Über Grace Jefferies hieß es, Howard sei ausgerastet, nachdem sie ihn als Drückeberger beschimpft habe.
Den zehnjährigen Billy hatte diese Erklärung sehr verwundert. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Howard fähig war, jemanden mit dem Messer tot-zustechen. Er hatte ja sogar vor Billy und Louise Angst gehabt und sich jedes Mal, wenn er sie sah, versteckt, weil Louise ihn immer ausgelacht und als
»Spasti« verspottet hatte. Einmal hatte sie ihm so-350
gar ein Bein gestellt, und er wäre beinahe gestürzt.
Billy sah noch sein zu Tode geängstigtes Gesicht vor sich. Am Ende war sogar Mrs. Jefferies zu ihnen gekommen und hatte ihre Mutter gebeten, dafür zu sorgen, dass die Quälereien aufhörten. Sie war eine dickliche, grauhaarige Frau gewesen, die ständig nervös die Hände rang und beim Sprechen große Mühe hatte, die Wörter hervorzubringen.
Sie hatte dauernd Bitte gesagt, als würde sie etwas Unbilliges verlangen.
Ihre Mutter war nicht besonders böse mit ihnen gewesen – »Jeder weiß, dass der Junge nicht ganz richtig ist« –, aber sie hatte sie ermahnt, Howard in Ruhe zu lassen. »Seine Großmutter sagt, dass er selbstmordgefährdet ist, und ich möchte nicht, dass die Leute sagen, ihr zwei wärt schuld, wenn er wirklich eine Dummheit macht.« Nach Grace Jefferies’
Ermordung glaubte Billy, mit dieser »Dummheit«
sei Mord gemeint gewesen, und seine Mutter habe die Polizei belogen, weil sie nicht wollte, dass die Familie schon wieder in so etwas hineingezogen wurde. Ihr Vater war ohnehin schon wütend darüber, dass Louise wegen Cills Verschwinden verhört worden war. Er erzählte ständig von einer schrecklichen Atmosphäre in der Arbeit, wo ihm seine Kollegen heimlich unterstellten, dass er und seine Frau von Cills Vergewaltigung gewusst haben müssten, wenn ihre Tochter davon gewusst hatte.
Die Monate bis zum Umzug waren
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