Der Außenseiter
Anklage aufzeigt.« Sie reichte der alten Frau das Buch. »Dr. Hughes zieht darin nicht nur die Einschätzungen des Pathologen zur Todeszeit in Zweifel, sondern auch das psychologische Profil des Mörders oder der Mörder, und stellt die Frage, ob dieses Psychogramm mit der Persönlichkeit Howard Stamps übereinstimmte.
Und geradeso bezweifelt er die Beweiskraft des am Tatort gefundenen Haarmaterials, das zusammen mit dem Geständnis die Geschworenen von Howard Stamps Schuld überzeugte.«
»Darf ich es behalten?«
»Bitte. Sie haben unsere Karten und unsere Tele-fonnummern. Uns interessiert alles, was Ihnen sonst noch zu der Geschichte einfällt.«
Hilda Brett griff nach ihrer Brille. »Ich erinnere mich, dass Howard rote Haare hatte«, bemerkte sie, während sie den Einband besah, »und wenn Haare als Beweis eine Rolle gespielt haben, dann erklärt das vermutlich Ihr Interesse an Louise und Colley Hurst? Sie halten es für möglich, dass einer von ihnen der Mörder ist?«
»Ja, es ist zumindest eine Möglichkeit. Auf Colley würde das psychologische Profil passen, und Louise wohnte in derselben Straße wie Grace Jefferies.«
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»Hm.« Sie legte das Buch auf ihren Schoß und faltete die Hände darüber.
»Sie halten nichts von der Idee?«, fragte Jonathan mit einem Lächeln.
Die alte Frau betrachtete ihn über den Schild-pattrand ihrer Halbbrille. »Das kann ich erst sagen, wenn ich das Buch gelesen habe«, antwortete sie, »aber ich fürchte, Sie klammern sich an einen Strohhalm – jedenfalls, was Louise angeht. Sie hätte so etwas niemals allein getan – sie hatte viel zu viel Angst –, und wenn sie davon gewusst hätte, so hätte sie es brühwarm herumerzählt. Das war ihre Art. Sie hat immer getratscht.«
»Vielleicht hat nie jemand sie danach gefragt.«
Hilda Brett schüttelte den Kopf. »Sie hätte sich schon etwas einfallen lassen, um ihre Neuigkeiten loszuwerden. Am liebsten so, wie sie es mit Priscilla immer gemacht hat: Sie stichelte so lange auf die Person ein, die sie geärgert hatte, bis die zornig wurde, und dann spielte sie die gekränkte Unschuld.
Ich vermute, in Priscillas Fall wollte sie es ihr heimzahlen, dass sie ihr vor aller Öffentlichkeit die Freundschaft aufgekündigt hatte … aber ich hatte nie Zweifel daran, dass sie über das Verschwinden des armen Kindes wirklich erschrocken war.« Sie zuckte mit den Schultern. »Man muss Louises Persönlichkeit verstehen. Sie war ein unangenehmes kleines Mädchen, dem es immer nur darum ging, im Mittelpunkt zu stehen – und um das zu 363
erreichen, wusste sie nichts Besseres, als andere schlecht zu machen.«
Priscilla Fletcher knallte den Kofferraumdeckel ihres Wagens zu und fuhr erschrocken zusammen, als sie sich unversehens einem großen, kräftig gebauten Mann mit einer Baseballmütze auf dem Kopf gegenübersah. »Verdammt noch mal!«, rief sie aufgebracht. »Was, zum Teufel, tun Sie hier?«
Billy nahm die Mütze ab und strich sich über das lichte Haar. »Hallo, Schwesterherz«, sagte er. »Das Gleiche wollte ich gerade dich fragen.«
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So dicht vor seiner Schwester stehend, konnte Billy unter ihrem linken Auge die letzten Spuren eines Blutergusses erkennen, einen halbmondförmigen gelben Fleck, der mit Schminke übertüncht war.
Er schob ihr die Hand unters Kinn und hob ihren Kopf an. »Wer hat dich geschlagen?«, fragte er.
Sie stieß seinen Arm weg und zog die dunkle Brille herunter, die in ihrem Haar klemmte. »Niemand«, versetzte sie heftig.
»Ich dachte, damit wär’s ein für alle Mal vorbei, Lou. Nie wieder, hast du gesagt, als wir uns das letzte Mal gesehen haben.«
Sie drehte ihm den Rücken zu und ging zielstre-big zur Haustür. »Sie haben sich in der Adresse geirrt«, rief sie über die Schulter zurück. »Ich hei-
ße Priscilla Fletcher und habe keinen Bruder. Also, verschwinden Sie.«
Billy folgte ihr. »Und wenn ich das nicht tue?«
»Dann rufe ich die Polizei.«
Sie wollte die Tür schließen, aber er ließ es nicht zu. »Mach dich nicht lächerlich, Lou. Was würdest du denen denn erzählen? Dass du mich 365
noch nie in deinem Leben gesehen hast? Na hör mal, ich brauche nur die Eltern anzurufen und ihnen zu sagen, sie sollen herkommen. Mam erkennt dich auf den ersten Blick. Du hast wahrscheinlich immer noch das Muttermal auf dem Oberschenkel und die Brandnarbe auf dem Bauch, wo du dir damals den kochenden Tee drübergeschüt-tet hast.« Er sah, wie sie resigniert die Schultern
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