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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Gelegenheit habt, euren ersten Gefangenen zu machen – habt die Erlaubnis, bis zu fünf von euren Kameraden zu Hilfe zu rufen; ihr alle habt dann gleichen Anteil am Ruhm der Gefangennahme. Jetzt folgt mir … Hier ist ein Baum. Du hierher, Krieger du dorthinauf, und verbirg dich in den Zweigen … Du dorthin, hock dich hinter diese Felsen … Umnebelt, du stellst dich hinter diesen Strauch …«
    Und so wurden wir in einer nach Norden sich erstreckenden Linie postiert, jeder von jedem etwa hundert Schritt entfernt. Selbst wenn es hell wurde, würde sich keiner von uns in Sichtweite seines Nachbarn befinden, allerdings immer in Rufverbindung mit ihm bleiben können. Ich zweifle, daß in dieser Nacht viele von uns ein Auge zutaten, höchstens die kampfgewohnten Veteranen. Ich für meine Person weiß jedenfalls, daß ich es nicht tat, denn Deckung gab mir mein Strauch nur, wenn ich mich auf meine Fersen hockte. Es regnete unentwegt weiter. Mein Umhang saugte sich mit Wasser voll, dann kam mein baumwollener Kampfanzug an die Reihe, bis alles so feucht und schwer an mir hing, daß ich meinte, im entscheidenden Augenblick einfach nicht in die Höhe kommen zu können.
    Nach einer Zeit, die mir vorkam wie ein Schock Jahre Elend, vernahm ich von Süden, von meiner Rechten her, ganz leise Geräusche. Offenbar setzten die Hauptverbände der Acólhua sich in Bewegung, entweder um sich in den Hinterhalt zu legen, oder aber, um dem waffenstarrenden Feind entgegenzumarschieren. Was ich hörte, war das traditionelle Gebet vor der Schlacht, welches ein Feldpriester anstimmte, doch drangen aus der Ferne nur abgerissene Wortfetzen an mein Ohr:
    »Oh, mächtiger Huitzilopóchtli, Gott der Schlachten, ein Krieg wird geführt … Wähle jetzt diejenigen aus, o großer Gott, die töten und die getötet werden müssen und diejenigen, die als Xochimique in Gefangenschaft geraten sollen, damit du ihr Herzblut trinken kannst … Oh, Herr des Krieges, wir bitten dich, schenke huldvoll dein Lächeln denen, die auf diesem Schlachtfeld oder auf deinem Altar sterben müssen … Laß sie geradenwegs eingehen in das Haus der Sonne, damit sie wieder leben, geliebt und geehrt unter den Tapferen, die ihnen vorangegangen sind …«
    Ba-ra-RUUMMM! So steif ich auch war, ich fuhr zu Tode erschrocken zusammen, als die vielen, vielen »Trommeln, die das Herz herausreißen«, auf einen Schlag mit ihrem Gedröhn einsetzten. Nicht einmal der dämpfende Regen rings umher vermochte ihr Erdbebengrollen zu etwas Geringerem denn Knochenschlottern herabzumindern. Ich hoffte nur, daß dieser grauenhafte Laut die Truppen der Texcaltéca nicht in die Flucht trieb, ehe sie in Nezahualpílis überraschender Umarmung festsaßen. Zum nervenaufreibenden Trommelgedröhn gesellten sich noch die langgezogenen Klagetöne und das Geblöke der Muschelhörner, doch dann verebbte der ganze Lärm, als die Musikanten den als Köder dienenden Teil des Heeres von mir fortführten, hinunter zum Fluß und dem wartenden Feind entgegen.
    Da die Regenwolken über uns so niedrig hingen, daß man meinte, sie mit dem ausgestreckten Arm berühren zu können, kam es an diesem Tag praktisch nicht zu so etwas wie einem Sonnenaufgang, doch war es mittlerweile doch merklich heller geworden. Jedenfalls hell genug für mich, um zu erkennen, daß der Strauch, hinter dem ich die ganze Nacht lang gehockt hatte, nichts weiter war als ein kümmerlicher, völlig entlaubter Huixàchi-Strauch, hinter dem nicht einmal ein Backenhörnchen sich richtig hätte verstecken können. Ich mußte mir also ein besseres Versteck suchen, und dazu hatte ich ja noch reichlich Zeit. Mit knarrenden Gliedern erhob ich mich, trug mein Maquáhuitl und schleifte meinen Speer dergestalt hinter mir her, daß beides nicht über den mich umgebenden Büschen zu sehen war, und entfernte mich in geduckten Sprüngen.
    Was ich euch bis zum heutigen Tag nicht sagen könnte, ehrwürdige Patres, nicht einmal, wenn ihr mich der inquisitorischen Überredung unterwürfet, ist, warum ich mich in die Richtung wandte, in der ich davonlief. Um irgendein anderes Versteck zu finden, hätte ich mich zurückziehen oder nach links oder rechts wenden können, und wäre trotzdem immer noch in Rufweite mit meinen Kameraden geblieben. Ich jedoch lief nach vorn, gen Osten, dorthin, wo bald die Schlacht sich entfesseln mußte. Ich kann nur davon ausgehen, daß irgend etwas mir innerlich zuflüsterte: »Du stehst vor deinem ersten Krieg, Dunkle Wolke,

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