Der Azteke
den Ritter abzufangen. Ich sagte: »Dann gehe ich jetzt zu diesen beiden Bäumen. Du bleibst hier und behältst ihn im Auge. Wenn er mich entdeckt, wirst du ihm das anmerken. Dann stoß einen Schrei aus und lauf zur Nachhut.«
Speer und Umhang ließ ich zurück und nahm nur mein Maquáhuitl mit. Ich drückte mich fast so dicht auf den Boden wie eine Schlange und bewegte mich voran, bis die Bäume im Regen vor mir auftauchten. Sie wuchsen aus einem dichten Gewirr von hohem Gras und niedrigem Gebüsch hervor, durch welche fast unmerklich ein Wildwechsel des Rotwilds verlief. Ich mußte davon ausgehen, daß der flüchtige Texcaltéca diesem Pfad folgte. Von Cozcatl war kein Warnruf gekommen, also mußte ich meine Stellung unbemerkt erreicht haben. Am Fuß eines der Bäume hockte ich mich auf die Fersen, so daß der Stamm zwischen mir und dem näherkommenden Mann stand. Mein Maquáhuitl mit beiden Händen packend, hielt ich es dicht überm Boden und wartete.
Durch das leise Rauschen des Regens hindurch hörte ich ganz leise Gras und kleine Zweige rascheln. Dann wurde direkt vor meinem Versteck ein lehmverschmierter Fuß in lehmverschmierter Sandale mit Jaguarkrallen aufgesetzt. Einen Augenblick später stand der zweite Fuß daneben. Der Mann muß es, nunmehr im Schutz der Bäume stehend, gewagt haben, sich aufzurichten und sich umzublicken, um festzustellen, wo er war.
Ich führte meinen Maquáhuitl-Hieb aus wie einst in der Schule, als ich den Nopáli-Kaktus gefällt hatte, und der Ritter schien einen Augenblick in der Luft zu hängen, ehe er der Länge nach auf den Boden schlug. Die Füße in den Sandalen blieben stehen, wo sie waren; das Maquáhuitl hatte sie ganz knapp oberhalb der Knöchel abgetrennt. Ich schnellte hoch und stürzte mich auf ihn, stieß mit dem Fuß das Maquáhuitl fort, das er immer noch gepackt hielt, setzte ihm die stumpfe Spitze meiner eigenen Waffe an die Gurgel und stieß keuchend die rituellen Worte hervor, wie sie derjenige, der einen Gegner gefangennimmt, an diesen zu richten hat. Zu meiner Zeit sagten wir nicht einfach plump: »Du bist mein Gefangener«, sondern befleißigten uns ausgesuchtester Höflichkeit und sprachen die Worte, die ich jetzt an den gefällten Ritter richtete: »Du bist mein geliebter Sohn!«
Ein bösartiger, fauchender Laut entrang sich seiner Brust, und er sagte: »Dann gebe du Zeugnis! Ich verfluche alle Götter und ihre gesamte Nachkommenschaft!« Doch dieser Ausbruch war verständlich. Immerhin war er Angehöriger des Elite-Ordens der Jaguarritter, und in einem einzigen Augenblick der Achtlosigkeit von einem jungen, offensichtlich neuen und noch nicht kampferprobten Krieger im tief unter ihm stehenden Yaoquízqui-Rang zu Fall gebracht worden. Ich wußte genau: hätten wir einander Mann gegen Mann gegenübergestanden, er hätte nach Belieben mit mir umspringen und mich in Stücke hacken können. Er wußte das genauso; sein Gesicht war violett angelaufen und er knirschte mit den Zähnen. Doch zuletzt verebbte seine Wut, ergab er sich in sein Schicksal und sprach die traditionellen Worte dessen, der sich geschlagen gibt: »Du bist mein verehrter Vater.«
Ich nahm die Waffe von seiner Gurgel, und er setzte sich auf, um steinernen Gesichts erst das Blut anzustarren, das ihm aus den Beinstümpfen hervorschoß, und dann fassungslos seine beiden Füße, die geduldig und nahezu säuberlich nebeneinander und vor ihm auf dem Wildwechsel standen. Wenngleich vom Regen völlig durchnäßt und verschmutzt, sah das Jaguargewand des Ritters immer noch überaus prachtvoll aus. Das gescheckte Fell, welches von dem furchterregenden Kopfhelm herunterhing, war dergestalt gearbeitet, daß die Vorderläufe ihm als Ärmel dienten und soweit hinunterreichten, daß die Krallen der Raubkatze an seinen Handgelenken rasselten. Der Riemen, der seinen leuchtend gefiederten Schild am linken Unterarm festhielt war beim Sturz nicht zerrissen. Abermals ein Rascheln im Gebüsch: Cozcatl, der sich zu uns gesellte und leise, aber stolz sagte: »Mein Herr hat seinen ersten Gefangenen gemacht, und das ohne jede Hilfe.«
»Und ich will nicht, daß er stirbt«, sagte ich, immer noch keuchend – vor Aufregung, nicht vor übermäßiger Anstrengung. »Er blutet schlimm.«
»Vielleicht kann man die Stümpfe abbinden«, schlug der Mann im schwerfälligen Nahuatl der Texcaltéca vor.
Cozcatl nestelte flink die Lederschnüre seiner Sandalen los, und ich schlang ein Stück unterhalb des Knies je eine fest
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